Martin war beständig auf der Suche. Einmal vermisste er seinen Terminkalender, der gestern noch, das konnte er beschwören, auf dem Schreibtisch gelegen hatte. Ein andermal suchte er nach seinem Führerschein, nach seinem Portemonnaie oder nach der Bedienungsanleitung für den neuen Videorecorder. Und neulich suchte Martin gar im Schlaf.
"Wo ist der Brief vom Finanzamt?", hörte Inge mitten in der Nacht den Aufschrei ihres Gatten. Dann seufzte er tief auf, drehte sich auf die andere Seite und schlief weiter.
Dass Martin immer etwas suchte, daran hatte sich Inge in den vielen Jahren ihrer Ehe längst gewöhnt. Worüber sie sich aber immer wieder ärgerte, war, dass Martin ihr und ihrem "Aufräumtick" die Schuld gab, wenn ihm etwas fehlte. Dabei machte Inge um Martins Schreibtisch seit langem einen weiten Bogen! Sie hatte ihn seit Jahr und Tag schon nicht mehr aufgeräumt. Er habe seine eigene Ordnung, hatte Martin erklärt, und Inge hatte diese "Ordnung" respektiert, obwohl sie wusste, dass unter dem Gebirge aus Briefen, Zetteln, Zeitungen, das sich auf Martins Schreibtisch türmte, der wahre Grund für seine Sucherei begraben lag.
Womöglich hätte sich an Martins Schreibtischchaos nie etwas geändert, hätte Martin nicht eines Tages im Briefkasten das Mahnschreiben eines Versandhauses vorgefunden.
"Das ist doch alles längst bezahlt!", polterte er los. "Letzten Mittwoch war ich auf der Bank!"
Aber wo war die Quittung? Martin suchte auf dem Schreibtisch, kramte im Papierkorb, durchwühlte schließlich die gesamte Wohnung, und sein Stimmungsbarometer stand dabei auf Sturm. Denn das Beweisstück blieb verschwunden, und plötzlich wusste Martin auch warum.
"Du mit deinem Aufräumtick!", fauchte er Inge an und brachte seinen Ärger auf die Formel: "Du räumst auf und ich muss suchen!"
Inge widersprach, bot aber um des lieben Friedens willen trotzdem ihre Hilfe an. Martin lehnte wütend ab: "Bring mir jetzt bloß nichts durcheinander!"
Inge fügte sich. Doch als Martin am nächsten Tag im Büro war, machte sie sich alleine auf die Suche und hatte Glück: Die Quittung steckte im Versandhauskatalog. Sie diente Martin dort als Lesezeichen.
Am Abend präsentierte Inge ihrem Gatten stolz die Quittung, und Martins Laune besserte sich sofort. Froh darüber, die Quittung wiedergefunden und eine Menge Geld gespart zu haben, gab Martin nunmehr ohne Zögern Inges Vorschlag nach, den Schreibtisch jetzt gemeinsam aufzuräumen.
Gleich nach dem Abendessen machten sie sich an die Arbeit, und als sie fertig waren, erkannte Martin seinen Schreibtisch fast nicht wieder: Das Gebirge aus Briefen, Zetteln, Zeitungen war abgetragen, nichts lag mehr herum, alles war ordentlich in den Schubfächern abgelegt: im oberen Fach die tägliche Post, im mittleren Rechnungen und Quittungen und im unteren Fach Briefpapier und Postkarten.
"Und damit von nun an wirklich nichts mehr wegkommt", schlug Inge schließlich vor, "wirst du deinen Schreibtisch ab heute immer abschließen!"
Sie verschloss die Schreibtischtür und überreichte Martin feierlich den Schlüssel - ein Symbol für künftigen Ehefrieden und eine vorbildliche Schreibtischordnung.
Der Frieden währte allerdings nicht lange: Zwar legte Martin von nun an alle Unterlagen folgsam in die dafür vorgesehenen Fächer und schloss die Schreibtischtür stets sorgsam ab. Doch kam der schicksalhafte Tag, an dem er seinen Schlüssel nicht mehr wieder finden konnte! Auch dafür hatte Inge vorgesorgt! Sie hatte einen Zweitschlüssel anfertigen lassen und diesen für den Fall der Fälle an einem sicheren Ort deponiert. Jetzt brauchte sie sich nur noch daran zu erinnern, wo...
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