Italiens Internetcafés in Not
Lizenz zum Surfen
Die Bombenanschläge von London haben auch in Italien gezündet – zumindest indirekt und in den Köpfen einiger Politiker. Innenminister Beppe Pisanu gehört offenbar zu jener Sorte von Politikern, die sich geschworen haben, einen Bombenterror wie in London in italienischen Großstädten zu verhindern. Dazu war ihm offenbar fast jedes Mittel recht. Knapp einen Monat nach den verhängnisvollen Londoner Anschlägen trat Pisanus Anti-Terrorpaket in Kraft. Die ersten negativen Folgen spürten nicht potenzielle Terroristen, sondern die Betreiber von Internetcafés. Sie dürfen ihre Cafés künftig nicht mehr ohne polizeiliche Betriebsgenehmigung führen. Warum? Der Grund ist so banal wie zufällig: Der Bruder eines der mutmaßlichen Attentäter von London führte in Rom ausgerechnet ein Internetcafé. Italiens Pizzabäcker atmen auf: Wie gut, dass es keine Pizzeria war…
Ausweiskontrollen und Surfprotokolle
In der Provinz Rom wurden bis Mitte November rund 1100 Anträge auf Betriebsgenehmigungen gezählt. 130 wurden bereits geprüft. Nur in einem Fall wurde die Lizenz zum Surfen bisher verweigert. 950 Antragsteller warten noch auf die Entscheidung der Behörden. Sie betreiben ihre Cafés vorläufig weiter – doch die Kunden bleiben ihnen weg. Die wenigsten Surfer wollen sich „bis aufs Hemd ausziehen“ lassen, nur weil sie eine Email verschicken oder eine halbe Stunde surfen möchten. Die Betreiber der Internetcafés sind nämlich per Gesetz verpflichtet, die Ausweispapiere ihrer Kunden zu kontrollieren und abzulichten. Weiterhin müssen sie die Surfaktivitäten eines jeden Kunden mitschneiden. Selbst Emails müssen gespeichert werden – in verschlüsselter Form. Denn nur die Polizei soll wissen, was Kunde Romeo an in Rom an seine Freundin Julia in Mailand geschrieben hat.
Massiver Kundenrückgang
Die Branche spürt derweil einen massiven Rückgang der Kundenzahlen. „Vorher war mein Laden voll“, sagt etwa Ahmed Sohel, der in der römischen Innenstadt ein Internetcafé betreibt. „Jetzt kommt niemand mehr.“ Tatsächlich klagt die gesamte Branche über einen massiven Rückgang der Kundenzahlen um über fünfzig Prozent. Weg blieben zunächst die zahlreichen Immigranten ohne gültige Ausweispapiere, die über die Internetcafés kostengünstig mit ihren Familien kommunizierten. Aber auch der Durchschnittskunde hat offenbar wenig Lust, sich von der italienischen Anti-Terrorfahndung ausspionieren zu lassen.
Italien so rigoros wie China
Italien ist das einzige europäische Land mit einer derartig scharfen Personenkontrolle. Lediglich die Schweiz verpflichtet Internetcafébetreiber noch, die Ausweise ihrer Kunden zu kontrollieren. Anders in China. Hier gibt es für Internetcafés ähnliche scharfe Kontroll- und Protokollpflichten. Auch für die chinesischen Behörden laufen solche Kontrollen unter Anti-Terrorgesetzgebung. Für sie beginnt der Terror allerdings schon mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Es soll verhindert werden, dass sich chinesische Surfer auf regimekritischen Webseiten einloggen – sofern diese Seiten nicht sowieso schon gesperrt sind.
„Sie haben die Twin Towers zum Einsturz gebracht…“
Das demokratische Italien also Hand in Hand mit einem totalitären Regime, das das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit unterdrücken will? Das Gesetz wäre ja in Ordnung, „wenn es dazu dient, uns zu beschützen“, meint Angela de Angelis, eine 21-jährige Studentin aus Rom. „Aber ich sehe überhaupt nicht, dass es diesen Zweck erfüllt.“ Die Studentin spricht der überwiegenden Mehrheit der Internetcafébetreiber und ihrer Kunden aus dem Herzen. Es bleiben ihnen nicht nur die Kunden weg, sie müssen auch noch aus eigener Tasche die Kosten zahlen, die für die obligatorische Überwachungssoftware aufzubringen ist. Fraglich ist zudem, ob das Gesetz auch tatsächlich den Zweck erfüllt, den es erfüllen soll: den Terroristen die Kommunikationswege abschneiden und Italien vor terroristischen Anschlägen schützen. Wie sagte der Betreiber eines Internetcafés in Rom doch gleich: „Diese Leute haben die Twin Towers zum Einsturz gebracht. Man wird sie nicht dadurch stoppen, dass sie keine Emails mehr verschicken können.“
Zurück zur News-Übersicht