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24. Juni 2005:

Innenminister wollen Datenspeicherung auf Vorrat

Telefon- und Internetverbindungsdaten sollen über einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten gespeichert werden. Das hat die Innenministerkonferenz heute in Stuttgart beschlossen. Die sechzehn Innenminister und –senatoren der Länder waren sich einig, dass Kriminalität im Internet nur durch eine Datenspeicherung auf Vorrat wirksam bekämpft werden könne. Unterdessen hat eine Berliner Rechtsanwaltskanzlei im Namen von zwei Privatpersonen und vier Email-Providern Verfassungsbeschwerde gegen das Telekommunikationsgesetz erhoben. Im Rahmen dieser Beschwerde wird auch die gesetzeswidrige Speicherpraxis vieler Internet Provider angeprangert.

Im Internet ist alles anders
Banken werden manchmal ausgeraubt, und nicht jeder Kunde, der ein Kaufhaus verlässt, hat seine Waren auch bezahlt. Trotzdem ist bisher noch niemand auf die Idee gekommen, Banken und Kaufhäuser zu zwingen, die persönlichen Daten ihrer Kunden zu erheben und deren Verweildauer im Hause sowie die von ihnen besuchten Abteilungen genauestens aufzulisten. Doch im Internet ist alles offenbar ein wenig anders. Das zumindest meinen durch die Bank die Innenminister der sechzehn Bundesländer plus Otto Schily, Bundesinnenminister und einer der glühendsten Verfechter neuer Überwachungsmöglichkeiten. Ihr gängiges Totschlagargument heißt Kinderpornografie.

„Ohne Datenspeicherung führt die Spur ins Leere“
Kinderpornografie könne man wirklich erfolgreich nur dann bekämpfen, wenn man in Verdachtsfällen die Spur des Verdächtigen auch bis zum Ende, sprich: bis zu seinem Internetprovider verfolgen könne. „Ohne Speicherung der Verbindungsdaten führt die digitale Spur ins Leere“, behauptet Heribert Rech, Innenminister aus Baden-Württemberg und derzeitiger Vorsitzender der Konferenz. Jetzt wird dieses Argument benutzt, um sämtliche Internet- und Telefonverbindungsdaten aller Nutzer für einen Zeitraum von mindestens zwölf Monaten speichern zu lassen. Dass es ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung gibt, stört Rech und seinen Ministerkollegen offenbar recht wenig. Bedenken werden abgewiegelt.

Preiswerte Erfüllungsgehilfen
Der Datenschutz der Bürger werde nicht eingeschränkt, lässt sich die Argumentation der Innenminister zusammenfassen. Denn es gehe nicht darum, jede Verbindung permanent zu überwachen. Die Polizei soll nur im Einzelfall bei begründetem Verdacht auf eine schwere Straftat Zugriff auf die Daten haben. Sie müsse sich in jedem Falle eine richterliche Genehmigung besorgen, um an die gespeicherten Daten zu kommen. Die Provider werden somit recht preiswert zu unfreiwilligen Erfüllungsgehilfen der Strafverfolgungsbehörden gemacht. Denn die Kosten für die Massenspeicherung sollen sie aus eigener Tasche zahlen.

Wie viele Pädophile gibt es?
Kinderpornografie darf nicht verharmlost werden. Sie geschieht sowohl im World Wide Web als auch in der realen Welt. Erst kürzlich wurden unter den unzähligen Yahoo-Chaträumen wieder spezielle Räume entdeckt und anschließend geschlossen, in denen sich Pädophile offenbar ungehindert „ausleben“ konnten. Insgesamt nehmen solche strafwürdigen Inhalte im Netz allerdings einen verschwindend geringen Raum ein. Entsprechendes gilt für die reale Welt außerhalb des Cyberspace. Es gibt keine Statistiken über den Anteil der Pädophilen an der Gesamtbevölkerung. Er dürfte insgesamt gering sein. Deshalb kommt in der realen Welt auch niemand auf die Idee, etwa für Kindergärten, Schulen, Freizeiteinrichtungen und ähnliche Orte, an denen sich Kinder und Jugendliche vermehrt aufhalten, die Daten aller Personen aufzunehmen und auf Vorrat zu speichern, die diese Orte besuchen. Warum soll das eigentlich im Internet so völlig anders sein?

Brach liegende Datenbestände sind verführerisch
Die Antwort ist nicht schwierig. Die Daten müssen nicht erhoben werden. Sie liegen bei den Internetprovidern längst vor. Die meisten Provider speichern – entgegen den gesetzlichen Bestimmungen – die Verbindungsdaten ihrer Kunden. Zu Abrechnungszwecken, lautet unisono die Begründung, oder um Kundenreklamationen nachvollziehen zu können. Diese Datenbestände liegen derzeit brach. Und brach liegende Datenbestände wecken immer Begehrlichkeiten nach dem Motto: Wenn man diese Daten schon erhoben hat, dann muss man sie auch nutzen.

Verfassungsbeschwerde eingereicht
Doch nicht jeder Provider speichert wie etwa T-Online die Verbindungsdaten seiner Kunden ab. Die anderen Provider, die sich gesetzeskonform verhalten und Verbindungsdaten nur bei Zeit- und Volumentarifen speichern und nach der Abrechnung wieder löschen, müssten erheblich investieren, damit die Innenminister ihren Datensammelwunsch erfüllt bekommen. Schon jetzt sind sie auf Grund des Telekommunikationsgesetzes verpflichtet, teure Abhörboxen zu installieren, damit die Strafverfolgungsbehörden im Fall des Falles sofort ungehinderten Zugriff auf die persönlichen Daten und Emails des Verdächtigen haben. Gegen diese Vorschrift hat eine Berliner Anwaltskanzlei im Namen von zwei Privatpersonen sowie von vier Emailprovidern Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie beruft sich auf das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis und verlangt darüber hinaus, dass das Bundesverfassungsgericht sich auch mit der bisherigen Speicherpraxis vieler Internetprovider auseinander setzt. Es sei grob unverhältnismäßig, meinen die Beschwerdeführer, persönliche Daten der gesamten Bevölkerung auf Vorrat zu speichern, nur weil ein Bruchteil dieser Daten zur Missbrauchsbekämpfung einmal nützlich sein könnte.

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