Ein "Flugschreiber" für Longhorn
„Watson“ schnüffelt kontrolliert
Windows-Systemabstürze sind für den User äußerst lästig. Für Microsoft sind sie jedoch sehr interessant. Sollen Abstürze künftig vermieden werden, muss der Softwarekonzern ihre Ursachen analysieren. Windows XP besitzt aus diesem Grund ein Werkzeug mit dem schönen Namen „Watson“, das bei jedem Crash automatisch Fehlerberichte erstellt und nach Redmond sendet. Der Windows-User kann jedoch von Fall zu Fall entscheiden, ob diese Berichte auch tatsächlich an die Microsoft-Zentrale abgeschickt werden sollen. Daran wird sich auch bei Longhorn wenig ändern. Auch beim geplanten XP-Nachfolger soll der User das letzte Wort behalten und entscheiden können, ob überhaupt und was nach einem Systemabsturz nach Redmond übermittelt wird. Standardmäßig ist das nämlich eine ganze Menge.
Was Sie schon immer über Crashs wissen wollten…
Die Datenmenge, die das neue Fehlerdiagnose-Tool nach Redmond schicken will, geht weit über das hinaus, was der neugierige „Watson“ bisher aufzuzeichnen in der Lage war. Die Informationen gehen in die Tiefe, erklärte Gates. Gespeichert wird neben den auch jetzt schon üblichen Informationen beispielsweise, welche Programme zum Zeitpunkt des Systemabsturzes aktiv waren. Dabei sollen auch die Inhalte gerade geöffneter Dokumente oder Emails an Microsoft geschickt werden – zu Analysezwecken, wie es heißt. Doch bleibt Microsoft eine Begründung dafür schuldig, was die Inhalte von Dokumenten und Emails mit einem Systemabsturz zu tun haben könnten. Alles halb so schlimm, scheint im Gegenteil die Devise im Hause Microsoft zu sein. Der Fehlerbericht bleibe ja anonym. Hier irrt der Konzern. Wenn nämlich beispielsweise auch Mailinhalte übermittelt werden, lassen sich anhand der Mailadresse durchaus Rückschlüsse auf den User ziehen.
Der Nutzer soll die Kontrolle behalten
„Wir meinen, dass der User die Kontrolle behalten soll“, wiegelt Greg Sullivan, bei Microsoft zuständig für das Produktmanagement, ab und verweist auf die Kontrollmöglichkeiten des Nutzers. Bevor ein Fehlerbericht an Microsoft gesendet werde, könne jeder User darüber entscheiden, ob er den Bericht überhaupt abschicken möchte und welchen Inhalt er haben soll. Der User könne „Buchstabe für Buchstabe festlegen, was gesendet wird“. Ob diese Funktion tatsächlich die anzustrebende Endkontrolle durch den User bringt, bleibt abzuwarten. Voraussetzung wäre nämlich, dass die User auch tatsächlich verstehen, was im Fehlerbericht an Microsoft gesendet werden soll. Nicht jeder Windows-Nutzer wird so viel technischen Sachverstand besitzen, dass er beispielsweise Einträge in der Windows-Registrierung oder andere technische Daten „entschlüsseln“ kann. Davon abgesehen befürchten Kritiker, dass sich die neue Diagnosefunktion in Unternehmen und Betrieben hervorragend dafür eignet, die Mitarbeiter zu überwachen.
Mitarbeiterüberwachung via Blackbox?
Während der Heimanwender den Fehlerbericht laut Microsoft umfassend redigieren können soll, besitzen Mitarbeiter in Unternehmen solche Kontrollmöglichkeiten in der Regel nicht. Hier entscheiden die Systemadministratoren im Auftrag der Geschäftsleitungen über den Inhalt der Fehlermeldungen. Wenn sie es wünschen, können sie ihre Netzwerke so konfigurieren, dass die Fehlerberichte erstens so viele Einzelheiten wie möglich enthalten und zweitens vor dem Verschicken an Microsoft auf ihrem „Schreibtisch“ landen. Auf diese Weise könnte exakt in Erfahrung gebracht werden, was der Mitarbeiter zum Zeitpunkt des Systemcrashs gemacht hat. Die Geschäftsleitungen erführen nicht nur, dass der Mitarbeiter gerade mit dem Internet Explorer gearbeitet hat, sondern auch, welche Webseiten besucht wurden, oder mit wem der Betroffene gerade via Instant Messenger worüber geplaudert hat. Selbst Microsoft-Produktmanager Sullivan kam nicht umhin, diese Überwachungsmöglichkeiten einzugestehen. Das sei aber prinzipiell nichts Neues, meinte er. Denn schon jetzt könnten Unternehmen ihre Mitarbeiter mit speziellen Programmen überwachen lassen. Dass Microsoft seinen Kunden mit Longhorn eine solche Überwachungssoftware künftig kostenlos und standardmäßig an die Hand gibt, erwähnte der Produktmanager nicht.
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