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27. Juni 2005:

Unter falscher Flagge

Das Lobbying um Softwarepatente geht in die letzte Runde. Gegner und Befürworter der Patentierbarkeit „computerimplementierter Erfindungen“ versuchen, noch kurz vor „Toresschluss“ die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf ihre Seite zu ziehen. Auch unfaire Mittel und gewagte Täuschungsmanöver scheinen erlaubt. Zu den erbitterten Gegnern von Softwarepatenten gehören klein- und mittelständische Unternehmer. Deren Argumente gegen Softwarepatente sind nicht aus der Luft gegriffen und könnten den Softwarepatentbefürwortern möglicherweise noch gefährlich werden. Was liegt da näher, als dass auch konzerndominierte Lobbyverbände ihr Herz für den Mittelstand entdecken? Sie segeln unter falscher Flagge und beteuern, in der Auseinandersetzung um die Softwarepatente gerade die Interessen auch des Mittelstandes zu vertreten.

Mittelstand fürchtet „amerikanische Verhältnisse“
Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat sich zu Beginn der letzten Woche eindeutig für Softwarepatente ausgesprochen. Er folgte in nahezu allen entscheidenden Punkten der Vorgabe des EU-Ministerrates. Würde diese Vorlage Gesetz, wären so genannte computerimplementierte Erfindungen weitgehend patentierbar. Die bereits jetzt vom Europäischen Patentamt in München in einer weiten Auslegung der gegenwärtigen Rechtslage erteilten rund 30.000 Patente würden mit einem Schlage Gültigkeit erlangen und wären somit rechtlich durchsetzbar – für die engagierten Softwarepatentgegner speziell aus dem Mittelstand eine rechtliche und wirtschaftliche Horrorvision. Sie fürchten US-amerikanische Verhältnisse auch für Europa. In den USA sind Patente auf reine Software zulässig. Patentauseinandersetzungen bestimmten dort den unternehmerischen Alltag. Der Mittelstand fürchtet, dabei unter die Räder der Großindustrie zu geraten, die die weitaus meisten Patente hortet.

Ein Herz für den Mittelstand
Die Campaign for Creativity (C4C) sieht das ganz anders. Die Initiatoren der Kampagne werfen den Softwarepatentgegnern das ideologische Herunterbeten der immer gleichen Missverständnisse und Unwahrheiten im Zusammenhang mit Softwarepatenten vor. Dabei gehe es doch darum, geistiges Eigentum gerade auch im Interesse des Mittelstandes wirksam zu schützen. Firmen und Einzelerfinder hätten viel Zeit und Geld in ihre Erfindungen gesteckt. Ihnen würden deshalb auch die daraus erwachsenden Früchte in Gestalt von Lizenzzahlungen gebühren. Nähme man ihnen diesen Lohn, gäbe es für sie keinen materiellen Anreiz mehr intensiv zu forschen und zu entwickeln. Kreativer Stillstand in Europa wäre die logische Folge. Dass Software bisher bereits durch das Urheberrecht geschützt ist, passt nicht ins Weltbild dieser Gruppe. Erwähnt wird diese „Marginalie“ nicht.

„Kreatives“ Engagement von Microsoft und SAP
Unterstützt wird die so genannte Kampagne für Kreativität eigenen Angaben zufolge von zahlreichen Einzelpersonen insbesondere aus dem künstlerischen Bereich. Auf der Mitgliedsliste finden sich jedoch auch Großkonzerne wie Microsoft und SAP, die das angebliche Mittelstandsprojekt offenbar großzügig unterstützen.

Mittelständische Unternehmer gegen Softwarepatente
Eindeutig mittelstandsdominiert ist die deutsche Initiative „Unternehmer gegen Softwarepatente“. Sie wird u. a. vom Bundesverband Mittelständische Wirtschaft sowie vom Berufsverband Selbstständige in der Informatik unterstützt. Mit entsprechend scharfen Worten wehren sich deren Mitglieder gegen konzerndominierte Lobbyverbände, die unter falscher Flagge segeln. In einem Schreiben, das kürzlich an alle deutschen EU-Abgeordneten verschickt wurde, lehnen sie die im EU-Rechtsausschuss abgesegnete Gesetzesvorlage ab und fordern wesentliche Änderungen. „Wir wehren uns mit Entschiedenheit gegen die Vereinnahmung der angeblichen Mittelstandsposition durch konzerndominierte Verbände“, erklärte Johannes Sommer, einer der Mitbegründer der Initiative, laut heise online.

BITKOM für Softwarepatente
Auch der Branchenverband EICTA, dem global agierende Großunternehmen wie Siemens, Sony, Microsoft oder IBM angehören, hat eigenem Bekunden zufolge ein Ohr für die Sorgen und Nöte des Mittelstands entdeckt. „Der gezielte Angriff auf das Patentsystem bei solchen Erfindungen scheint (…) abgewehrt“, kommentierte auch der bundesdeutsche Branchenverband BITKOM die Entscheidung des EU-Rechtsauschusses. Die Brüsseler Entscheidung für Softwarepatente läge insbesondere im Interesse kleinerer und mittlerer Betriebe. „Wäre der Patentschutz verweigert worden, würden gerade die innovativen kleinen und mittleren Firmen leiden“, meinte BITKOM-Mittelstandssprecher Heinz-Paul Bonn. Im Übrigen setzte sich Bonn für eine Versachlichung der Diskussion ein. „Diese Patente sind weder der Todessstoß für tausende mittelständische Unternehmen durch Großkonzerne, noch das Allheilmittel für den Mittelstand, sein geistiges Eigentum wirkungsvoll zu schützen.“ Bonn zufolge liege die Wahrheit irgendwo in der Mitte – wo genau, konnte Bonn allerdings nicht exakt benennen.

Nachzüglerfirmen melden sich zu Wort
Nachdem der EU-Rechtsausschuss mit seiner positiven Haltung zu Softwarepatenten die Entscheidungsrichtung vorgegeben hat, outen sich kurz vor Toresschluss weitere europäische Mittelstandsfirmen als Gegner der geplanten Regelung, über die das EU-Parlament am 6. Juli abstimmen wird. Der neu firmierten Allianz gegen Softwarepatente gehören so renommierte Firmen wie 1&1 Internet, CAS Software, CSB-System, GMX, Materna sowie MySQL und Browserhersteller Opera an, die zusammen rund 4000 Mitarbeiter beschäftigen. Gewohnt kämpferisch gab sich Florian Müller, Koordinator der Firmenallianz und Gründer der Kampagne NoSoftwarePatents.com. „Wir alle müssen Zeit und Geld auf das Lobbying verwenden“, gab Müller die Parole aus. „Denn sonst verlieren wir kampflos, und dann werden wir alle gezwungen sein, viel mehr Zeit und Geld in die Auseinandersetzung mit einzelnen Patentklagen zu stecken.“

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