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31. Januar 2006:

US-Politiker manipulieren Wikipedia

Wikipedia kommt nicht zur Ruhe. Nach den Fälschungen an einzelnen Einträgen, die Ende letzten Jahres bekannt wurden, kommt nun eine ganze Serie von manipulierten Wikipedia-Einträgen ans Licht. In den letzten Monaten sollen über tausend Wikipedia-Artikel von US-Politikern manipuliert worden sein, berichten US-amerikanische Medien. Dabei handelt es sich hauptsächlich um biografische Einträge über US-Politiker. Aber auch historische Artikel beispielsweise über den Irak-Krieg sollen entstellt worden sein. Die Wikipedia-Macher sind alarmiert und sprechen von Vandalismus. Das grundsätzliche Problem, dass das Online-Nachschlagewerk schlicht zu groß und damit unkontrollierbar geworden ist, sprechen sie nicht an.

Ein Wikipedia-Artikel wird „aufgehellt“
Marty Meehan sitzt seit 1992 als Abgeordneter im US-Repräsentantenhaus. Seinen Wahlkreis hat der demokratische Abgeordnete im US-Bundesstaat Massachusetts. Meehan weiß, was seine Wähler von einem Politiker seines Schlages hören wollen. Berufspolitiker, die an ihren Sesseln kleben, haben in seinem Wahlkreis wie überall ein denkbar schlechtes Image. Und Meehan wollte anders sein als die „da oben in Washington“. Er selbst werde allerhöchstens acht Jahre lang in Washington tätig bleiben. Dann werde er seinen Sessel in jedem Falle räumen, erklärte er 1992 vollmundig. Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2006, und Meehan geht in das 14. Jahr seiner Amtszeit. Da machen sich die alten Versprechungen, die beispielsweise in seiner Wikipedia-Biografie penibel gelistet waren, denkbar schlecht. Kein Problem, sagte sich der vergessliche Politiker und beauftragte über seinen Bürochef Matt Vogel einen Praktikanten, seinen Wikipedia-Eintrag ein wenig „aufzuhellen“.

Meehan war nicht der einzige „Vandale“
Anschließend war für Meehan die Wikipedia-Welt wieder in Ordnung. Sein Eintrag präsentierte ihn fortan von seiner allerbesten Seite. Dass er das riesige Budget von 4,8 Millionen US-Dollar im Wahlkampf zur Verfügung gehabt hatte und damit offenbar alle anderen Kongressabgeordneten weit hinter sich ließ, stand nun ebenfalls nicht mehr in dem kritischen Artikel. Meehans Bürochef hatte ihn ändern lassen. Dass am Artikel des demokratischen Politikers von interessierter Seite herumgedoktert worden war, kam nicht durch Administratoren der Wikipedia ans Licht der Öffentlichkeit, sondern war das Ergebnis einer Zeitungsrecherche. Journalisten der US-Tageszeitung Lowell Sun waren über den geschönten Meehan-Artikel gestolpert. Sie recherchierten weiter und fanden nach und nach immer mehr Artikel über US-Politiker, die manipuliert worden waren.

Geschichte wird umgeschrieben
Beispiele für Manipulationen gibt es genug. Betroffen sind Politiker aller Couleur und Funktionen. So wurde beispielsweise Scott McClellan, Pressesprecher des Weißen Hauses, unter einem Wikipedia-Artikel gelistet, in dem es um Intimduschen ging. Über Tom Coburn, Republikaner aus Oklahoma, hieß es, er sei von seinen Kollegen zum nervigsten Politiker gewählt worden, weil er ein solches Weichei sei. Die Wikipedia-Macher haben mittlerweile eine Liste mit über tausend Einträgen erstellt, die alle von Rechner aus vorgenommen wurden, die sich über IP-Adressen ins Internet eingewählt hatten, die dem US-Kongress zugewiesen worden waren. Darunter befanden sich auch Einträge, die als plumpe Geschichtsfälschung einzustufen sind. So wurde etwa der Eintrag über den US-Einmarsch im Irak 2003 umgeschrieben. Als Grund für den US-Einmarsch wurde nunmehr in dem Artikel angegeben, dass eine Verbindung zwischen Saddam Hussein und den Anschlägen des 11. September 2001 „zwingend“ bestanden habe. Vorher konnte man dort lesen, dass Präsident Bush eine solche Verbindung ohne zwingende Beweise „suggeriert“ hätte, um einen Kriegsgrund zu „erfinden“.

US-Politiker müssen draußen bleiben
Für die Wikipedianer war die Sache vorerst klar: Um zukünftige Zugriffe von Kongressrechnern auf die Wikipedia zu unterbinden, wurden die IP-Adressen des US-Kongresses für den Zugriff auf die Wikipedia kurzerhand gesperrt. Die Manipulationen wurden als Akte eines blinden Vandalismus dargestellt. Über die grundsätzliche Frage, wie die Wikipedia als offenes Nachschlagewerk, an dem jeder Nutzer mitschreiben kann, vor einem solchen Vandalismus geschützt werden könnte, wurde offenbar nicht diskutiert.

Mit der Größe wachsen die Probleme
Zu befürchten ist, dass die Probleme der Wikipedia in Zukunft noch weiter zunehmen. Angesichts der Größe, die das Nachschlagewerk mittlerweile erreicht hat, scheint es unmöglich zu sein, die Artikel einer regelmäßigen inhaltlichen Kontrolle zu unterziehen. Zwar weisen die Wikipedianer selbst immer wieder darauf hin, dass jeder, der sich seine Informationen bei der Wikipedia beschaffe, auch die Versionsgeschichte eines Eintrags nachschlagen müsse. Nur dadurch könne man die Objektivität und inhaltliche Genauigkeit eines Artikels überprüfen – zumindest ansatzweise. Fraglich ist, ob der durchschnittliche Wikipedia-Nutzer mit einer solchen Recherche nicht überfordert ist. Wer rasch eine Information benötigt, wird kaum die Muße und Zeit aufbringen, die erforderlich ist, um die Versionsgeschichte eines Artikels genauer unter die Lupe zu nehmen. Und den Zugriff für bestimmte IP-Adressen zu sperren, von denen aus regelmäßig Fälschungen begangen werden, kann auch nicht des Rätsels Lösung sein. Wer einen Artikel fälschen will und etwa vom US-Kongress aus keinen Zugriff mehr bekommen kann, der wird sich eben einen anderen Rechner suchen – mit einer unverdächtigen IP.

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