Der Linux-Kernel könnte derzeit mit 283 registrierten US-Patenten gerichtlich in Konflikt geraten. 27 dieser Patente werden vom Linux-Rivalen Microsoft gehalten. Die Halter der Patente könnten, sofern sie vor Gericht Bestand hätten, eine Lawine von Rechtsstreitigkeiten auslösen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der aktuellen Patentrechtslage für den Linux-Kernel, die von der Versicherungsfirma Open Source Risk Management (OSRM) durchgeführt wurde.
Linux ist kein Ausnahmefall
Das Risiko, dass Linux-Projekte mit einer Patentrechtsklage überzogen werden, sei nicht zu vernachlässigen, erklärte der US-amerikanische Patent-Anwalt Dan Ravicher. Er hat im Auftrag der Versicherungsfirma OSRM alle gültigen US-Patente daraufhin untersucht, ob sie mit Techniken in Konflikt stehen könnten, die in den Linux-Kernel integriert sind. Das Ergebnis sei allerdings keineswegs überraschend und Linux kein Ausnahmefall. Auch andere Software, die ebenso erfolgreich und verbreitet sei wie das Open-Source-Betriebssystem, stehe vor einer ähnlichen Rechtssituation. Auf Grund seiner „offenen“ Natur sei der Linux-Kernel durch Patentrechtsklagen allerdings wesentlich gefährdeter als proprietäre Software, deren Quellcodes in der Regel streng unter Verschluss gehalten werden, meint der Chicagoer Rechtsanwalt Jeffrey Norman, der sich auf Softwarekonflikte spezialisiert hat.
Wer hält die problematischen Patente?
27 der problematischen US-Patente, die dem Linux-Kernel gefährlich werden könnten, werden von Microsoft gehalten. Dennoch glaubt US-Anwalt Norman nicht, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass nun gerade die Redmonder Softwareschmiede das Konkurrenzprodukt mit Klagen überziehen werde. Solche Klagen würden den Damen und Herren in Redmond eine denkbar schlechte PR einbringen, die sich Microsoft im Grunde derzeit kaum leisten könne. Gut ein Drittel der von Ravicher als problematisch eingestuften Patente wird von Unternehmen gehalten, die wie IBM, Red Hat oder HP Linux freundlich gesonnen sind.
Kein Patent von SCO
Patent-Anwalt Ravicher und seine Auftraggeber von der Versicherungsfirma OSRM weigerten sich beharrlich, die Patente, die dem Linux-Kernel juristisch gefährlich werden könnten, namentlich und en détail zu nennen. Würde man die Namen der Patente veröffentlichen, würde man potenziellen Klägern einen Großteil ihrer Arbeit abnehmen. Außerdem könnte man Linux-Kunden dann unterstellen, dass sie von der möglichen Patentrechtsverletzung hätten wissen können, was ihre rechtliche Lage erheblich verschlechtern würde. Worauf Ravicher in seiner Studie allerdings explizit hinweist, ist, dass kein einziges der 283 problematischen Patente von der SCO-Gruppe gehalten wird. Diese Firma hatte wiederholt behauptet, dass der Linux-Kernel ihr geistiges Eigentum verletze, und Linux-Anwender in den letzten Monaten penetrant mit Klagen überzogen.
Gut fürs Versicherungsgeschäft
Kritiker der Studie wie Software-Anwalt Norman bezweifeln, ob die Kernaussagen der Untersuchung auch wirklich zutreffend sind. Der Linux-Quellcode sei viel zu gewaltig, als dass man genaue und abschließende Auskünfte darüber geben könnte, welche Softwarepatente im Einzelnen verletzt werden könnten. Dafür müsse man kein Anwalt, sondern ein veritabler Linux-Entwickler sein. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass hinter dieser Studie handfeste wirtschaftliche Interessen stehen. Auftraggeber ist die bisher schon als Linux-Rechtsschutzversicherung tätige Firma OSRM, die ihr Betätigungsfeld liebend gern erweitern möchte. Eine Studie, die ein hohes Bedrohungspotenzial suggeriert und damit Linux-Anwender und –Entwickler gleichermaßen verunsichert, ist immer gut fürs Geschäft.
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