Der Countdown läuft. Nur noch drei Tage bis zur Entscheidung des EU-Parlaments über die Patentierbarkeit von „computerimplementierten Erfindungen“. Gegner und Befürworter von Softwarepatenten versorgen die EU-Parlamentarier mit letzten Informationen. Die Softwarepatentgegner haben kurz vor Toresschluss noch weitere Unterstützung erhalten. Sowohl der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) als auch die Gesellschaft für Informatik schwenkten auf ihre Linie ein. Gleichzeitig zeigen sich auch viele EU-Parlamentarier mit den kürzlich ergangenen Empfehlungen des EU-Rechtsausschusses unzufrieden. Sie fordern weit reichende Korrekturen. Derweil hat der zuständige Parlamentsberichterstatter Michel Rocard einen weiteren Kompromissversuch gestartet.
Die Entscheidung fällt Mittwoch
Die vom EU-Rechtsausschuss kürzlich abgesegnete Parlamentsvorlage zu Softwarepatenten hat in den Reihen der Softwarepatentgegner Entsetzen ausgelöst. Während sich die Befürworter mit der Vorlage, über die am Mittwoch abgestimmt werden soll, zufrieden zeigten, sah die Gegenseite „amerikanische Verhältnisse“ auf Europa zukommen. In den USA sind auch Trivialpatente beispielsweise auf Geschäftsideen möglich. Jeder Softwareentwickler muss dort bei der Programmentwicklung darauf achten, kein möglicherweise bereits existierendes Patent zu verletzen. Teure Patentanwälte sind für die Recherche nötig. Lizenzgebühren müssen gezahlt werden, wenn eine bereits patentierte Idee wie der Fortschrittsbalken im eigenen Programm vorkommt. Und eigene neue Ideen müssen in einem Verfahren patentiert werden, das kaum jemand aus der Portokasse zahlen kann.
Warum Großkonzerne Softwarepatente wollen
Die weitaus meisten Patente werden nicht von klein- und mittelbetrieblichen Unternehmen, sondern von Großkonzernen gehalten. Zwei Drittel aller europäischen Softwarepatente, die das Europäische Patentamt trotz anders lautender Rechtslage bereits vergeben hat, gehören Großunternehmen. Es darf deshalb nicht verwundern, dass Konzerne wie Microsoft, SAP oder IBM zu den wichtigsten Verfechtern europäischer Softwarepatente zählen. Sollte die derzeitige Vorlage unverändert angenommen werden, würde sich diese Großunternehmen eine neue heftig sprudelnde Einnahmequelle erschließen. Sie könnten ihre Patente endlich rechtlich durchsetzen und alle „Patentverletzer“ im großen Stil zur Kasse bitten. Sie selbst hätten dabei wenig zu befürchten. Sie könnten fremde Patente gegen eigene aufrechnen und im Konfliktfall auch die umfangreichen Kosten eines gerichtlichen Patentverfahrens aufbringen. Kleine und mittelständische Firmen könnten unter Umständen bei erwiesener oder auch nur behaupteter Patentverletzung vor dem Aus stehen. Kaum ein Kleinbetrieb kann es sich beispielsweise leisten, gerichtlich einem Großkonzern wie Microsoft Paroli zu bieten.
Gegner in letzter Minute
Die Softwarepatentgegner haben kürzlich noch weitere Unterstützung von unerwarteter Seite erhalten. Auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), der sich zuvor prinzipiell für die Patentierbarkeit von Software ausgesprochen hatte, macht sich nun zumindest teilweise die Positionen der Softwarepatentgegner zu Eigen. Ausschlaggebend war das Engagement der Vertreter von Firmen wie GMX oder Lycos Europe, die eine Neuausrichtung der Verbandspolitik in dieser Frage gefordert hatten. Ziel solle es sein, Benachteiligungen des Mittelstandes zu vermeiden.
Gesellschaft für Informatik gegen Softwarepatente
Auch die Gesellschaft für Informatik (GI) zählt nun zu den Gegnern einer weit reichenden Patentierbarkeit von Software. In ihrem neuen Positionspapier setzt sich das Präsidium der GI für eine „klare, systematisch begründete Grenzziehung zwischen patentierbaren und nicht-patentierbaren rechnergestützten Erfindungen“ ein. Solche Erfindungen sollen nur dann patentierbar sein, wenn sie auf neuartige Weise „beherrschbare Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolges einsetzen“. Reine Softwarepatente beispielsweise auf Ideen und Geschäftsabläufe, wie sie beispielsweise von SAP gefordert werden, wären somit ausgeschlossen. Die GI möchte außerdem eine so genannte Interoperabilitätsklausel in die künftige EU-Richtlinie einfließen lassen. Diese Klausel würde dafür sorgen, dass verschiedene Programme miteinander kombinierbar bleiben. Programmierer von Office-Anwendungen könnten danach auch weiterhin Importmöglichkeiten beispielsweise für Microsoft-Word-Dokumente anbieten, ohne gegen Microsoft-Patente zu verstoßen und dafür zahlen zu müssen. Diese Forderung wird insbesondere von Programmierern aus dem Open-Source-Bereich mit Vehemenz vertreten. Last but not least fordert die GI zudem, dass die Patentvergabepraxis der Patentämter „deutlich strenger und kompetenter“ zu organisieren sei.
Neuer Kompromissvorschlag
Auch auf politischer Ebene tut sich derzeit einiges. Für die Parlamentssitzung am 6. Juli liegen eine Vielzahl von Änderungsanträgen vor, darunter auch Kompromissvorschläge des französischen Ex-Premierministers Michel Rocard, der dem EU-Parlament in dieser Frage als Berichterstatter dient. Rocard will Patente auf Ideen, Geschäftsmethoden oder mathematische Formeln verhindern und stellt deshalb darauf ab, dass nur Erfindungen patentierbar sein sollen, die technischer Natur sind. Er benutzt hier den Begriff „angewandte Naturwissenschaften“. Die weiter gehende, auch vom deutschen Bundesgerichtshof geprägte Definition, dass Erfindungen Probleme unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte lösen sollen, findet sich in Rocards Kompromiss nicht.
Kein imperatives Mandat
In den verschiedenen politischen Fraktionen des EU-Parlaments wird derzeit nach gemeinsamen Positionen gesucht. Während sich die Grünen im Großen und Ganzen offenbar mit Rocards Kompromissvorschlag anfreunden können, haben die Liberalen eigene Änderungsvorschläge entwickelt, die inhaltlich allerdings prinzipiell mit Rocards Vorschlägen übereinstimmen. Demgegenüber fehlt es in der konservativen Europäischen Volkspartei noch immer an einer einheitlichen Haltung. Das gilt offenbar auch für die deutschen EU-Parlamentarier. Obwohl sich der Deutsche Bundestag eindeutig gegen Softwarepatente ausgesprochen hatte, unterstützt ein Großteil der konservativen Abgeordneten die Linie des EU-Ministerrates und die Vorgabe des EU-Rechtsausschusses. Rechtlich gesehen ist eine solche Haltung einwandfrei. Die deutschen EU-Abgeordneten besitzen wie alle anderen Abgeordneten kein imperatives Mandat, d. h. sie sind in ihren Entscheidungen und in ihrem Abstimmungsverhalten an keinen Beschluss des deutschen Bundestages gebunden. Sie sind bei allen Abstimmungen frei und lediglich ihrem Gewissen unterworfen. Nur Spötter verwechseln hier „Gewissensentscheidung“ mit „gewissen Entscheidungen“…
Zurück zur News-Übersicht