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05. Mai 2006:

Glosse: Wer will das noch hören?

Same procedure as last year: Bereits zum siebten Mal in Folge legen die deutschen Phonoverbände ihre so genannte jährliche Brennerstudie vor. Ziel dieser Untersuchung, die wie immer vom Nürnberger Marktforschungsunternehmen GfK durchgeführt wurde, ist es, das „Brennverhalten“ der Deutschen zu untersuchen und daraus Rückschlüsse auf entgangene Profite zu überschlagen. Und wie immer schlägt die deutsche Musikindustrie Alarm. Zwar haben Musikdownloads aus illegalen Quellen der Studie zufolge weiter abgenommen. Doch die Gefahr sei längst noch nicht gebannt. Neues Ungemach droht von den Internetradios und Podcast-Sendungen. Denn jeder zehnte bundesdeutsche „Brenner“ holt sich seine Musik mittlerweile aus diesen Quellen – und wieder an den Registrierkassen der Musikindustrie vorbei.

Weniger illegale Downloads
Die Musikindustrie schlägt in diesem Jahr leisere Klagetöne an. Fast schon klingt die zusammenfassende Pressemitteilung der IFPI zurückhaltend – aber nur fast. Denn der Feind kopiert noch immer überall und sucht sich dabei auch noch neue Wege, um an seine Lieblingsmusik auch ohne Mitwirkung der musikindustriellen Verwertungsmaschine zu gelangen. Musiktauschbörsen sind für die Musikindustrie, wie sollte es anders sein, noch immer das Profit schmälernde Böse schlechthin. Zwar sank die Zahl der illegalen Musikdownloads laut GfK-Studie von rund 600 Millionen Titeln im Jahr 2003 auf ca. 415 Millionen Musikdateien im Jahr 2005, was immerhin einem Rückgang von gut 30 Prozent entspricht – ein Rückgang übrigens, den die Musikindustrie als Ergebnis ihrer konsequenten Pirateriebekämpfung einerseits sowie ihrer aktiven Unterstützung legaler Angebote anderseits wertet.

Milchmädchen an die (politische) Front
Dennoch handele es sich bei den aktuellen Downloadzahlen um einen dramatisch hohen Wert, jammert die Musikindustrie. Warum? Das verrät die Musikindustrie diesmal nicht explizit. Der Grund dürfte aber offenkundig sein. Wie in jedem Jahr setzen die musikindustriellen Buchhalter eine heruntergeladene Musikdatei mit einem nicht verkauften Musiktitel gleich und kommen zu entsprechend hohen Umsatzausfällen, die einzig und allein auf die Tauschbörsennutzung zurückgeführt werden. Dass es sich dabei um eine Milchmädchenrechnung handelt, die die Ursachen für Umsatzeinbrüche eher verschleiert, denn erhellt, muss nicht mehr betont werden. Die Musikindustriellen wissen das vermutlich selbst. Doch Horrorzahlen passen gut in eine politische Landschaft, in der gerade der zweite Korb der Urheberrechtsreform verabschiedet werden soll. Und für den benötigt man besonders schlechte Werte.

Schlechte Nachrichten in schlechtem Deutsch
Lesen wir ein wenig in der IFPI-Pressemeldung: „Die Zugriffsmöglichkeiten hat (sic!) für alle Brenngeräte im Vergleich zu 2004 deutlich zugenommen“, heißt es in miserablem Deutsch in der IFPI-Presseerklärung. Auch „die Zugriffsmöglichkeiten auf DVD-Recorder im Haushalt hat (sic!) sich verdoppelt“, und, man glaubt es kaum: Sogar „die Zugriffsmöglichkeiten auf „MP3-Handys“ hat (sic!) sich fast verdreifacht.“ Schlechte Nachrichten werden hier stilgerecht in schlechtem Deutsch serviert. Was die Studie damit sagen will: Immer mehr Menschen haben Zugriff auf „Brenngeräte“. Und da in jedem Brennerbesitzer auch ein potenzieller Raubkopierer schlummert, wird auch immer mehr gebrannt – legal und illegal.

Legal – illegal – ganz egal?
Im vergangenen Jahr haben 31,2 Millionen Personen insgesamt 882 Millionen CD- und DVD-Rohlinge bespielt, jeder Bundesbürger ab zehn Jahren also statistisch gesehen also 28,3 Silberscheiben pro Jahr. 68 von 100 Personen haben der Musikindustrie geschadet und Musik oder Musikvideos kopiert – legal oder illegal? Darüber schweigt sich die Musikindustrie aus. Was zählt ist die Kopie und obige Milchmädchenrechnung, die natürlich auch auf das Kopieren via Brenner ausgedehnt wird.

Neu im Sortiment: „CD-Äquivalente“
Milchmädchen gibt es offenbar nicht nur bei der deutschen Musikindustrie, sondern auch bei der Nürnberger GfK. Nimmt man die CD-Rohlinge allein, dann ist seit 2003 mit 321 Millionen gebrannten CD-Rohlingen bis zum Jahr 2005 ein beachtlicher Rückgang auf 275 Millionen bespielte CD-Rohlinge zu verzeichnen. Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl der gebrannten DVD-Rohlinge von 2 Millionen 2003 auf 21 Millionen im Jahre 2005. An dieser Stelle treten die GfK-Milchmädchen in Aktion, führen in Gestalt der „CD-Äquivalente“ eine neue Rohlingswährung ein und fangen an zu rechnen: eine DVD hat laut GfK die Speicherkapazität von 7,8 CD-Rohlingen. Aus den 21 Millionen DVD-Rohlingen werden auf diese Weise (21 x 7,8) 275 Millionen „CD-Äquivalente“, die zu den gebrannten CD-Rohlingen addiert werden. Am Ende kommt die GfK auf insgesamt 439 Millionen bespielte „CD-Äquivalente“. Verkauft hat die Musikindustrie 2005 jedoch nur 123,7 Millionen Alben auf CD. Es ergibt sich eine überaus Besorgnis erregende „Äquivalent-Lücke“ und eine noch Besorgnis erregendere Umsatzlücke. Gut, dass es rechnende Milchmädchen gibt!

„Sie kaufen Musik, um sich legal zu verhalten“
Das Schönste kommt immer ganz zum Schluss – so auch in der Presseerklärung der IFPI. Hier heißt es unter 6.: „74 % der Befragten laden sich Musik aus legalen, kostenpflichtigen Angeboten herunter, um sich legal zu verhalten.“ Das konnte man sich fast schon denken. Der kostenpflichtige legale Download von musikindustriellen Plastikprodukten dient heutzutage nur noch einem Zweck: zu demonstrieren, dass man sich legal verhält. Stimmt! Hören will das Zeugs anscheinend kaum noch einer…

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© Alfred Krüger http://www.akrue.de/