Datenschutz als Schadensbegrenzung
Begehrliche Datenberge
EU-Bürger surfen im Internet. Sie schreiben Tag für Tag Millionen Emails, faxen Dokumente und telefonieren per Handy oder via Festnetz. Dabei werden gewaltige Datenberge produziert, die nicht nur für staatliche Ermittlungsbehörden, sondern auch für andere Stellen beispielsweise in der Wirtschaft sehr begehrlich sind. Wer Zugriff auf die Telefon- und Internetverbindungsdaten hat, kann problemlos ermitteln, wer zu welcher Zeit von wo aus und mit wem telefoniert hat, wer wem Emails oder Faxe schickt, im Internet wann auf welchen Seiten unterwegs ist oder in Musik- und Filmtauschbörsen urheberrechtlich geschütztes Material zum Tausch angeboten oder heruntergeladen hat.
Wer soll Einblick in die Daten haben?
Auf der Grundlage der EU-Richtlinie sollen alle diese Daten künftig für mindestens sechs Monate gespeichert werden – auch in der Bundesrepublik. Kürzlich hat das Bundeskabinett die Marschrichtung in Sachen Datenspeicherung auf Vorrat vorgegeben. In Deutschland sollen die Kommunikationsdaten demnach sechs Monate gespeichert werden. Staatliche Ermittlungsbehörden sollen nicht nur bei schweren Verbrechen, sondern auch bei der Aufklärung von Delikten, die „mittels Telekommunikation“ begangen werden, ein Recht auf Einsicht in die angesammelten Datenberge bekommen. Eine solche Regelung lehnen die EU-Datenschützer vehement ab. Sie fordern, dass das Recht zur Dateneinsicht auf die Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität begrenzt werden müsse.
Kein Auskunftsrecht der Unterhaltungsindustrie
Obendrein sollen die gespeicherten Daten nur staatlichen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden, wobei in jedem einzelnen Fall eine gerichtliche Entscheidung vorliegen muss. Private Dritte dürfen in keinem Fall einen Zugriff auf die Daten haben, fordern die obersten Datenschützer der EU. Sie erteilen damit allen Plänen eine konsequente Abfuhr, die beispielsweise der Unterhaltungsindustrie ein Recht zugestehen wollen, zur Bekämpfung der Tauschbörsennutzung die gespeicherten Internetverbindungsdaten einsehen zu dürfen. In der Bundesrepublik ist ein solcher Auskunftsanspruch quasi auf Zuruf allerdings bereits in Planung. Demgegenüber stellen die EU-Datenschützer unmissverständlich fest: „Die gespeicherten Daten dürfen nur den staatlichen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden.“
Datensicherheit
Peter Schaar, oberster Datenschützer in der Bundesrepublik und zugleich Vorsitzender der Artikel-29-Gruppe, sowie seine Amtskollegen aus den anderen EU-Ländern verlangen bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Datenspeicherung auf Vorrat außerdem, dass die von der Speicherung betroffenen Datenarten exakt und unmissverständlich festgelegt sowie eng begrenzt werden sollen. Die gewaltigen Datenberge, die in der EU anfallen, sollen zudem nirgendwo zentral gespeichert, sondern in separaten Systemen abgelegt und verarbeitet werden. Dabei müssen technische und organisatorische Maßnahmen in Angriff genommen werden, die die Sicherheit des aufgestauten Datenozeans gewährleisten.
Die EU-Verfassung nicht nur Sonntags lesen!
Die Erklärung der Artikel-29-Gruppe enthält alle Forderungen, die auch bisher schon zur Datenspeicherung auf Vorrat erhoben worden waren. Sie offenbart gleichzeitig das Dilemma, in dem sich der europäische Datenschutz und seine Überwacher befinden. Die Datenschutzbeauftragten können nur reaktiv handeln. Die eigentlichen Entscheidungen werden woanders, auf der politischen Ebene nämlich, getroffen. Hier hat der Datenschutz schon seit längerem einen schweren Stand. Für einen Großteil der Politiker ist Datenschutz kein unabdingbares Bürgerrecht, sondern lediglich ein mehr als lästiger Hemmschuh bei der Bekämpfung des Terrorismus und der Kriminalität in Europa – ein im Grunde erstaunliches Phänomen. Denn in der fortschrittlichen EU-Verfassung ist das Bürgerrecht auf Datenschutz ausdrücklich verankert. Praktische Konsequenzen haben die entsprechenden Verfassungsartikel derzeit aber kaum. Vielleicht sollten Politiker nicht nur vermeintlich objektive Kriminalitätsstatistiken, sondern hin und wieder auch einmal in der europäischen Verfassung lesen?
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