Kulturflatrate in Frankreich ausgehebelt
Legale Tauschbörsennutzung
Während die französische Musik- und Filmindustrie kurz vor Weihnachten Verrat und den Untergang ihrer Branche witterte, begrüßten Verbraucherverbände die überraschende Entscheidung der französischen Nationalversammlung zur Legalisierung von Tauschbörsen. Der fragliche Antrag stammte nicht von den „üblichen Verdächtigen“, etwa den Sozialisten oder den französischen Grünen, sondern von Alain Sugenot, Mitglied der konservativen Regierungspartei Union Pour Un Mouvement Populaire (UMP). Er hatte das Ziel, Tauschbörsennutzung künftig zu legalisieren, indem jeder Internetnutzer zur Zahlung einer Zwangsabgabe herangezogen werden sollte. Über die Höhe dieser Abgabe enthielt der Änderungsantrag keine Angaben. Diskutiert wurden 12 bis 15 Euro monatlich.
Fairsharing
Mit dieser Abgabe, die die Internetprovider von ihren Kunden einzuziehen hätten, sollen die Künstler und Rechteinhaber entschädigt werden. Die Abgabe sollte an die französische Verwertungsgesellschaft SACEM, dem französischen Pendant zur deutschen GEMA, gezahlt werden. Die SACEM hätte dann die Einnahmen entsprechend der Downloadpopularität der Künstler und Rechteinhaber auszuzahlen gehabt – ein System, das bereits vor etlichen Monaten in den USA und später im Rahmen der Initiative Fairsharing auch in der Bundesrepublik diskutiert worden war. Sowohl in den USA als auch in Deutschland sind diese Überlegungen jedoch nie über den Status von unverbindlichen Diskussionsansätzen hinausgekommen. Zwar beschäftigte sich auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages mit diesem Kompensationsmodell. Doch kommt das entsprechende Infoblatt zum Stichwort „Kulturflatrate“ vorschnell zu einem negativen Urteil – was größtenteils an der mangelhaften Aufarbeitung dieser Problematik durch den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages liegen dürfte. Alternative Verwertungsmodelle werden pauschal als untauglich abgelehnt. Eine wirkliche Auseinandersetzung über das Urheberrecht im digitalen Zeitalter findet hier nicht statt.
Verbraucherschützer fordern legales Filesharing
In Frankreich verlief die Diskussion in den vergangenen Monaten anders. Hier hatten sich Verbraucherschutzverbände schon frühzeitig auf die Seite der Tauschbörsennutzer gestellt und immer wieder gefordert, das französische Urheberrecht an die Gegebenheiten des digitalen Zeitalters anzupassen. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass der Tausch von Musikdateien über Peer-to-peer massenhaft praktiziert werde und untrennbar mit der Entwicklung des Internets verknüpft sei“, hieß es beispielsweise seitens des französischen Verbraucherschutzverbandes „Que Choisir“. Eine solche „sozial gesunde Praxis“ habe etwas mit kultureller Vielfalt unter den technischen und gesellschaftlichen Bedingungen des digitalen Zeitalters zu tun. Diese Entwicklung lasse sich nicht durch repressive Maßnahmen zurückschrauben. Im Gegenteil wurde das französische Kulturministerium aufgefordert, das Urheberrecht an diese neuen Gegebenheiten anzupassen. An die französische Musikindustrie ging wiederholt der Appell, die Klagewelle gegen französische Musiktauschbörsennutzer umgehend zu beenden.
„Wir sind alle Musikpiraten“
Eine Höhepunkt erreichten solche Forderungen mit einem im französischen Wochenmagazin Nouvelle Observateur unter dem Titel „Befreit die Musik“ veröffentlichten Aufruf, dem sich als Erstunterzeichner auch zahlreiche Musikkünstler anschlossen, darunter so bekannte Namen wie Manu Chao oder Khaled. Man wandte sich aufs Schärfste gegen die repressive und unverhältnismäßige Praxis, einzelne Musiktauschbörsennutzer juristisch zu Sündenböcken zu machen. "Wie mindestens acht Millionen andere Franzosen haben auch wir schon Musik aus dem Internet geladen und sind demnach potenzielle Delinquenten. Wir verlangen die Einstellung dieser absurden Verfolgung", erklärten die Unterzeichner und schlugen eine breit angelegte öffentliche Debatte vor, in die Künstler, Musikindustrie und Regierung mit einbezogen werden sollten. Ziel sollte es sein, Urheberrechte und Verbraucherrechte im Zeitalter des Internets besser als bisher in Einklang miteinander zu bringen. Mittlerweile haben sich diesem Aufruf mehr als 46.000 Franzosen angeschlossen. Sie alle outen sich als Musikpiraten. Den deutschen Fairsharing-Aufruf zieren demgegenüber bisher lediglich rund 8300 Unterschriften.
Flatrate aus Gesetz gestrichen
Die französische Musik- und Filmindustrie lief gegen diese Bewegung Sturm. Als sich auch noch die Nationalversammlung im Dezember letzten Jahres für die gesetzliche Einführung der Kulturflatrate stark machte, intervenierte sie massiv. „Die Parlamentarier wissen nicht, was sie tun“, empörte sich beispielsweise Jean-Baptiste Soufron von der französischen Filmverleihfirma Gaumont. Die Entscheidung gefährde die wirtschaftliche Basis eines ganzen Wirtschaftszweiges, hieß es. Auch das Arbeitsplatzargument durfte selbstverständlich nicht fehlen. Offenbar haben die Lobbyisten der Unterhaltungsbranche laut genug geklagt. Denn der neue Gesetzentwurf zur Reform des Urheberrechts in Frankreich enthält den Änderungsantrag zur Einführung einer Kulturflatrate nicht mehr. Er wurde kurzerhand herausgestrichen, als hätte es ihn nie gegeben. Zwar versuchte die parlamentarische Opposition, den fraglichen Änderungsantrag erneut auf die Tagesordnung setzen zu lassen. Doch die konservative Parlamentsmehrheit sprach sich dagegen aus.
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