Wer nicht verschlüsselt, haftet!
Vorgeschichte
Dass Plattenfirmen die einschlägigen Musiktauschbörsen nach widerrechtlich angebotenen Musikdateien durchsuchen lassen, ist allgemein bekannt. Im Rahmen einer solchen Scan-Aktion wurde festgestellt, dass unter der IP-Adresse 80.134.26.120 244 urheberrechtlich geschützte Musikdateien über das Gnutella-Netzwerk im Internet zum Tausch angeboten worden waren. Die Plattenfirma ließ den Anschlussinhaber ermitteln, mahnte ihn kostenpflichtig ab und verlangte eine Unterlassungserklärung. Die Beschuldigten lehnten ab. Daraufhin erlangte die Plattenfirma per Gericht eine einstweilige Verfügung gegen die Beschuldigten. Die Anschlussinhaber widersprachen und versicherten, die fragliche Rechtsverletzung sei nicht über einen der beiden PCs in ihrem Haushalt begangen worden. Diese beiden Computer seien über eine ungeschützte WLAN-Verbindung mit dem Internet verbunden. Dritte könnten deshalb Zugang zu diesem WLAN bekommen und die Urheberrechtsverletzung begangen haben.
Wurden zumutbare Prüfungspflichten verletzt?
Das Gericht mochte dieser Argumentation nicht folgen. Es könne zwar nicht mit Sicherheit ermittelt werden, wer die fraglichen Musikdateien tatsächlich ins Netz gestellt habe. Das sei jedoch letztlich egal. Die Beschuldigten hätten in jedem Fall für die festgestellte Rechtsverletzung gerade zu stehen, meinte das Landgericht Hamburg und berief sich auf die Grundsätze der so genannten Störerhaftung. Diese Grundsätze werden im § 1004 BGB geregelt. Danach haftet eine Person, ohne selbst Täter oder Teilnehmer an einer Tat zu sein, laut Landgericht Hamburg immer dann als „Störer“, wenn sie „in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der rechtswidrigen Handlung mitgewirkt hat“. Es reicht aus, wenn die Person ihr obliegende zumutbare Prüfungspflichten verletzt hat. Im vorliegenden Fall bejahten die Hamburger Richter eine solche Pflichtverletzung.
Verschlüsselung notfalls vom Fachmann
Die Beschuldigten hätten es mit ihrem ungeschützten WLAN Dritten ermöglicht, die Musikdateien im Netz anzubieten. Es sei nach Auffassung des Gerichts allgemein bekannt, „dass ungeschützte WLAN-Verbindungen von Dritten missbraucht werden können“ – auch zur Verletzung von Urheberrechten. Das hätten auch die Beschuldigten wissen können. Sie hätten deshalb ihr WLAN verschlüsseln müssen. Wer das nicht aus eigenen Kräften bewerkstelligen könne, müsse sich eben einen Fachmann zur Hilfe holen. Die entstehenden Kosten seien dem Betreiber eines WLAN durchaus zuzumuten.
Nachbarschaftsnetze sind betroffen
Das Urteil des Hamburger Landgerichts lässt sich auf die schlichte Formel bringen: „Wer nicht verschlüsselt, haftet.“ Es hat Konsequenzen für alle diejenigen, die – aus Unwissenheit, Nachlässigkeit oder mit voller Absicht – ein ungeschütztes WLAN betreiben. Betroffen sind besonders die so genannten Nachbarschaftsnetze, also WLANs, zu denen nicht nur der Anschlussinhaber, sondern bewusst ein größerer Kreis von Personen Zugang bekommen soll. Überträgt man das Hamburger Urteil auf diese Netze, bleibt festzustellen, dass der Anschlussinhaber für alle Rechtsverletzungen haftet, die von den Nutzern eines von ihm betriebenen Nachbarschaftsnetzes begangen werden.
Geschützte WLANs dürfen nicht geknackt werden
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage: Macht man sich strafbar, wenn man sich in ein fremdes WLAN einloggt und „auf Kosten“ des arglosen WLAN-Betreibers schwarz durchs Internet surft? Die Juristen sind sich weitgehend einig, wenn es um ein – mit welcher Methode auch immer - verschlüsseltes, also ein geschütztes WLAN geht: „Die Nutzung fremder Funkdatennetze, die mittels WEP gegen Zugriff besonders gesichert sind, ist gem. § 202a Strafgesetzbuch strafbar“, meint etwa Ulf Buermeyer in der „Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht“. § 202a StGB betrifft das Ausspähen fremder Daten, wozu auch Passwörter und IP-Adresse des fremden Rechners zählen. „Wer mittels entsprechender Software ein WEP-geschütztes Netz ‚knackt’“, macht sich strafbar, „da er sich IP-Adresse und WEP-Schlüssel und damit (…) geschützte Daten verschafft“. Auf die Nutzung des WLANs – etwa nur als Internetzugang – komme es dabei nicht an.
Schwarzsurfen erlaubt
Völlig anders sieht die strafrechtliche Situation bei einem ungeschützten WLAN aus. Ein zu knackendes Passwort gibt es nicht, sodass § 202a StGB hier nicht greifen kann. Buermeyer kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass „die bloße Nutzung fremder Datennetze als Internetzugang ohne einen Bruch der Verschlüsselung (…) straflos“ bleibt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Jörg Heidrich in der Computerzeitschrift c’t (Ausgabe 13/2003, S. 102f).
Keine Kriminalisierung des Schwarzsurfens
„Das gefundene Ergebnis mag zunächst überraschen“, sei aber auch unter rechtspolitischen Erwägungen durchaus zu rechtfertigen, meint Buermeyer. Gegen eine Kriminalisierung des „Schwarzsurfens“ spräche beispielsweise, dass für den Nutzer eines fremden Netzes oft „nicht unmittelbar zu erkennen ist, ob ein offenes WLAN für den öffentlichen Gebrauch vorgesehen ist oder nicht.“ Es gebe mehr und mehr Cafés und Restaurants, die ihren Gästen einen freien Netzzugang ermöglichten. Auch viele private Betreiber erlaubten „aus purem Idealismus“ die Mitbenutzung ihres Internetzugangs. Für den Nutzer eines fremden WLANs sei deshalb nicht immer ohne weiteres zu erkennen, ob der Netzbetreiber mit der Fremdnutzung einverstanden sei oder nicht. Es liege einzig und allein beim WLAN-Betreiber selbst, Schwarzsurfer aus seinem Netz auszuschließen, indem er es mit wenigen Mausklicks verschlüssele. Es sei „eher dem Betreiber zuzumuten, die Verschlüsselung zu aktivieren, als vom Nutzer zu verlangen, auf die Verwendung offener Netze (…) zu verzichten.“
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