Mit Google selektiv durchs Netz
Google-interne Pläne irrtümlich veröffentlicht
Basis der Spekulationen und Gerüchte um Googles GDrive sind schriftliche Anmerkungen zu einer Power-Point-Präsentation, die Google-Chef Eric Schmidt kürzlich während eines Analystentreffs hielt. Diese Präsentation wurde anschließend von Google veröffentlicht, wobei offenbar versäumt wurde, die hinzugefügten Anmerkungen zu entfernen. Diese Anmerkungen bezogen sich u. a. auf Google-interne Planungen zur Einführung eines neuen Projekts namens GDrive (Seite 19 der Präsentation). Google wolle „jederzeit jedermanns Daten speichern können“, heißt es dort.
Jederzeitiger Datenzugriff
Bisher bietet Google seinen Nutzern die Möglichkeit an, sämtliche Emails, die eigene Google-Suchgeschichte, Bilder und Bookmarks zu speichern. Der geplante Dienst werde jedoch weit darüber hinausgehen und alle Dateien umfassen, die bisher auf den heimischen Nutzerfestplatten abgespeichert würden. Die Vorteile für den Nutzer lägen auf der Hand: Er hätte per internetfähigem Handy und/oder PC immer und von jedem Ort der Erde aus Zugriff auf seine Daten. Seine virtuelle Google-Festplatte würde sich zum Hauptspeicherort entwickeln, während die lokalen Speichermedien des Nutzers nur noch den Charakter eines Cache hätten, in dem man Sicherheitskopien seiner Dateien aufbewahren könne.
Standarddementi
Nachdem die inoffiziellen Pläne und Visionen aus dem Hause Google bekannt geworden waren, reagierte die kalifornische Suchmaschinenfirma prompt. Zunächst nahm man die fragliche Power-Point-Präsentation vom Netz und ersetzte sie durch eine bereinigte PDF-Datei, in der die zitierten Anmerkungen nicht mehr enthalten waren. Anschließend folgte ein Standarddementi. „Wir arbeiten ständig an neuen Möglichkeiten, um unsere Produkte und Services für die Nutzer zu verbessern, aber im Augenblick haben wir nichts anzukündigen.“ Zur Frage nach den konkreten GDrive-Plänen gab es keine weiteren Kommentare.
Terminalcomputer plus virtuelle Speichermedien
Experten gehen schon seit längerem davon aus, dass Google seinen Nutzern irgendwann in naher Zukunft virtuelle Speichermedien anbieten könnte, die sämtliche Nutzerdaten, die jetzt noch auf heimischen Festplatten und sonstigen Speichermedien untergebracht sind, künftig „im Netz“ speichern werden. Dahinter steckt eine Vision, die bereits im Jahre 1995 von Oracle-Chef Larry Ellison entworfen worden war. Kern dieser Vision sind Billigcomputer mit Internetanschluss, die nur über wenig eigenen Speicherplatz verfügen und kaum interne Software besitzen. Solche Terminalcomputer dienen nur noch dazu, ins Internet zu gehen. Jeder Nutzer hätte dann via Internet Zugriff auf unbegrenzten Speicherplatz und die jeweils erforderliche Software – gegen Bezahlung oder finanziert durch Werbung. Wie so etwas im Ansatz aussehen könnte, hat Google mit seinem GMail-Service bereits erfolgreich demonstriert. Hier verfügt der angemeldete Nutzer über den sagenhaften Speicher von derzeit rund 2,8 Gigabyte – und täglich vergrößert sich für jeden GMail-Kunden dieser Speicher.
Fatale Konsequenzen
Die möglichen GDrive-Pläne hätten nicht nur fatale Konsequenzen für die Firmen, die bereits jetzt kostenpflichtig virtuelle Festplatten im Netz anbieten. GDrive und ähnliche Konzepte hätten wesentlich weiter reichende Konsequenzen – beispielsweise auf die Hersteller von Personal Computern und Betriebssystemen. Wenn eigene Dateien und Software im Netz gespeichert werden, verliert der heimische PC erheblich an Bedeutung. Er reduziert sich auf die Minimalfunktionen eines Terminalcomputers, der abgesehen von einer Festplatte mit minimaler Speicherkapazität nur noch aus Tastatur plus Monitor besteht. Entsprechendes gilt für die Betriebssysteme. Deren überbordende Funktionsvielfalt wird überflüssig. Wirklich benötigt würden nur noch die Basisfunktionen, die einen Zugriff auf die eigene virtuelle Festplatte und die dort gespeicherte Software erlauben. Im strategischen Visier solcher Planspiele stehen deshalb in erster Linie Firmen wie Microsoft, die einen wesentlichen Teil ihrer wirtschaftlichen Einnahmen mit Betriebssystemen und Bürosoftware generieren. Sollte GDrive Wirklichkeit werden, müssen sich Firmen wie Microsoft vermutlich „warm anziehen“.
Selektive Netzwahrnehmung dank Google
Bereits jetzt „frieren“ all jene, die sich Gedanken um Datenschutz und Sicherheit der bei Google zentral gespeicherten Daten machen. Google würde bei der Einführung seines neuen Dienstes selbstverständlich wie immer sein „Won’t be evil“-Mantra herunterbeten und auf die unbestreitbaren Vorzüge hinweisen, die virtuelle Festplatten generell für den Nutzer besitzen. Wie Google am Ende mit den Massen an gespeicherten privaten Daten umgeht, ob sich das Unternehmen tatsächlich an seine einmal definierten Datenschutzstandards hält, kann kein Nutzer überprüfen.
Selektive Netzwahrnehmung garantiert
Kopfschmerzen bekommen viele Datenschützer, wenn Google in derselben inoffiziellen Anmerkung zum GDrive-Projekt auch das Ziel einer immer exakteren Abstimmung der Google-Suche auf die persönlichen Bedürfnisse des Nutzers formuliert. Eine solche Personalisierung setzt immer größere Datenmengen über jeden einzelnen Nutzer voraus. Je größer die Datenberge sind, die Googles Algorithmen bei der individuellen Suche unterstützen, desto exakter können persönliche Interessen, Neigungen und Wünsche in die Ermittlung personalisierter Suchergebnislisten eingehen. Am Ende wird nur noch das gefunden, was den einzelnen Nutzer wirklich „interessiert“. In der Kommunikationspsychologie spricht man von „selektiver Wahrnehmung“, wenn ein Individuum von der Wirklichkeit nur noch das wahrnimmt, was seinen eigenen Empfindungen, Erfahrungen, Urteilen und Vorurteilen gerecht wird. Google verpflanzt dieses Prinzip ins Internet: Gefunden wird künftig nur noch das, was sich mit den Vorstellungen und Präferenzen des Google-Nutzers verträgt. Alles andere wird als störend ausgeblendet – Google, allmächtiger Wächter am Tor zum Wissen dieser Welt, weiß nicht nur, was seine Nutzer finden wollen! Die „unbestechlichen“ Suchalgorithmen wissen es auch besser!
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