Abgerechnet wird zum Schluss
Musikpiratin ohne PC?
Der Fall, der der Entscheidung eines New Yorker Bezirksgerichts zugrunde liegt, hatte bereits vorher für etliches Aufsehen gesorgt. Es geht um Marie Lindors aus Brooklyn. Der US-Musikkonzern Universal wirft Lindors vor, urheberrechtlich geschützte Musiktitel illegal im Internet getauscht zu haben. Lindors bestreitet dies seit Beginn des Verfahrens. Sie habe eigenen Angaben zufolge nie einen PC besessen. In ihrer Wohnung soll es US-Medienberichten zufolge jedoch einen Internetzugang sowie ein ungeschütztes WLAN geben.
Vergleichsbereit
Wie viele andere mutmaßliche Tauschbörsennutzer sah die Beschuldigte keine Möglichkeit, sich per Gericht gegen die Anschuldigung des illegalen Musiktauschs zur Wehr zu setzen. Die möglichen Verfahrenskosten, die sie bei einer für sie ungünstigen Entscheidung hätte tragen müssen, hielten sie trotz der wackligen Beweislage davon ab, den Rechtsweg zu beschreiten und sich verklagen zu lassen. Vielmehr ging sie auf das Vergleichsverfahren ein, das ihr die Universal-Anwälte angeboten hatten. Der zugrunde gelegte Streitwert erschien ihr allerdings völlig aus der Luft gegriffen.
150.000 US-Dollar Streitwert?
Bei Urheberrechtsverletzungen ist es in der Regel äußerst schwierig einen konkreten Schaden zu nennen, der den Betroffenen durch das Anbieten von Musiktiteln oder Filmen im Netz entstanden ist. Die US-Gerichte setzen deshalb regelmäßig einen statutarischen Schaden fest, der bei Verletzungen des Copyrights automatisch bei 150.000 US-Dollar liegt – pro angebotenem Musikstück.
„Moderate“ Angebote der Musikindustrie
Da es praktisch völlig unmöglich ist, auf der Grundlage einer solchen enorm hohen Schadenssumme Vergleiche mit einer realistischen, also vom Beschuldigten auch tatsächlich aufbringbaren Vergleichssumme pro Songtitel zu erzielen, reduzieren die Anwälte der Musikindustrie ihre Forderungen pro angebotener Datei in der Regel auf 750 US-Dollar. Da die meisten mutmaßlichen Tauschbörsennutzer mit mehr als einem Song beim Tausch im Netz erwischt werden, kommen trotzdem noch erhebliche Schadensersatzsummen zusammen.
Musikindustrie muss Karten auf den Tisch legen
Marie Lindors zeigte sich also grundsätzlich mit einem Vergleich einverstanden. Sie bestritt aber die konkrete Schadenssumme, die der Plattenfirma pro Song entstanden sei, und wollte die Schadenssumme vom Gericht geklärt wissen. Ihr Anwalt erhob eine entsprechende Klage und verlangte von Universal konkrete Belege. Vor dem zuständigen New Yorker Bezirksgericht bekam die Klägerin Recht. Universal muss nun im Einzelnen belegen, wie die Schadenssumme von 750 US-Dollar pro Song zustande kommt und warum als Schadenssumme nicht jene 70 US-Cent angesetzt werden, die ein Einzelhändler für ein Musikstück an den Konzern bezahlen muss. Außerdem muss Universal öffentlich darlegen, wie viel die Firma selbst an einem Song verdient und wie viel sie den Künstlern zahlt.
Künftig mehr Gerichtsverfahren?
In der Vergangenheit gerierten sich die Musikkonzerne in der Öffentlichkeit immer als Interessenvertreter der Künstler. Die Offenlegung der Fakten könnte somit reichlich peinlich werden. Sollte es am Ende zu einem erheblich geringeren als dem üblicherweise veranschlagten Streitwert kommen, könnte es für die Musikindustrie insgesamt noch unangenehmer werden. Denn es ist zu erwarten, dass sich bei geringeren Streitwerten und entsprechend niedrigeren Verfahrenskosten mehr mutmaßliche Tauschbörsennutzer als bisher auf die Beschreitung des Rechtswegs einlassen und die Vergleichsangebote der Industrie ignorieren werden.
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