Bundeskabinett segnet Urheberrechtsnovelle ab
Keine Bagatellklausel für Kopierer
Raubkopierer sind Verbrecher, tönt die Filmindustrie in diversen Anzeigen und Kinospots – ungeachtet der Frage, ob lediglich in geringer Stückzahl und ausschließlich zur privaten Nutzung oder ob in großem Umfang für den kommerziellen Vertrieb kopiert wird. Die von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bis vor kurzem noch geplante P2P-Bagatellklausel sollte exakt an dieser Unterscheidung zwischen privaten Gelegenheitsdownloads aus dem Netz und groß angelegtem, kommerziellem Handel mit Raubkopien ansetzen und rein private Downloads in geringer Stückzahl als Bagatellen von der Strafverfolgung ausnehmen. Der derzeit vorbereitete zweite Korb der Urheberrechtsreform enthielt demgemäß einen Paragrafen, der private Gelegenheitskopierer vor Strafverfolgung verschonen sollte. Man wolle damit eine drohende „Kriminalisierung der Schulhöfe“ verhindern, hieß es zur Begründung. Diese Bagatellklausel wurde nun aus dem Entwurf gestrichen.
Unterhaltungsindustrie läuft Sturm
Die bundesdeutsche Unterhaltungsindustrie witterte schon frühzeitig Verrat am Urheberrechtsschutz und lief gegen die Bagatellklausel Sturm. Sie forderte, die Bagatellklausel aus dem Entwurf zur Urheberrechtsnovelle ersatzlos herauszustreichen. Würde man den illegalen Download beispielsweise von Musiktiteln „in geringer Zahl“ und „ausschließlich für den privaten Gebrauch“ straffrei lassen, käme es zu einer "absurde(n) Schwächung der Rechtsverfolgung sowie (zu) eine(r) Legalisierung von Milliarden von Raubkopien", argumentierte etwa der Verband der Filmverleiher. Untermauert wurden diese Lobbyisten-Argumente mit Hochrechnungen zum mutmaßlichen Downloadverhalten der bundesdeutschen Internetnutzer.
Horrorszenarium der Lobbyisten
Wenn jeder der rund 40 Millionen deutschen Internetnutzer pro Jahr fünfzig Filmkopien downloade bzw. herstelle, dann würden die privaten Haushalte jährlich mit einer „Flut von 2 Milliarden Kopien“ überschwemmt, „die straffrei gegen den Willen der Rechteinhaber privat vervielfältigt werden dürfen“. Die Bagatellklausel käme somit einem „Freibrief für (…) digitalen Diebstahl“ gleich. Solche Hochrechnungen sind allerdings reine Fantasieprodukte und entbehren jeglicher statistischer Grundlage. Sie unterstellen, dass sämtliche Internetnutzer – egal ob analog, per ISDN oder per Breitband mit dem Internet verbunden – pro Woche mindestens einen Film herunterladen. Dass sich der Download auch von Musikstücken erst dann lohnt, wenn der Downloader per schnellem Breitbandzugang mit dem Netz verbunden ist, bleibt völlig außen vor. Auch sonst kann die Gesamtheit aller Internetnutzer kaum über einen Kamm geschoren werden. Zu unterschiedlich sind die Interessen der Nutzer, zu oberflächlich die unbewiesenen Behauptungen der Unterhaltungsindustrie. Die aufgemachte Rechnung entpuppt sich deshalb recht schnell als übertriebenes Horrorszenarium, das von den Lobbyisten genüsslich an die Wand gemalt wird, um ihre Forderungen gegenüber dem Gesetzgeber durchzusetzen.
Jederzeitiger Auskunftsanspruch gefordert
Die Bagatellklausel wurde nicht nur bei der Strafwürdigkeit von illegalen Downloads ins Spiel gebracht. Auch bei der gesetzlichen Verankerung eines Auskunftsanspruchs der bundesdeutschen Unterhaltungsindustrie gegenüber Internetprovidern spielt diese Klausel eine wichtige Rolle. So sieht § 101 des „Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“ vor, dass Rechteinhaber einen direkten Auskunftsanspruch gegenüber den Internetprovidern bekommen sollen. Dieser Anspruch sei für die Filmwirtschaft bei Urheberrechtsverletzungen, die über das Internet begangen werden, „existenziell“. Denn nur die Internetprovider, die die IP-Nummern für die Rechner ihrer Kunden und potenziellen Rechteverletzer vergeben, „sind in der Lage, die dem jeweiligen Rechner (…) zugewiesene IP-Adressierung einer verantwortlichen Person zuzuordnen und so die Verfolgung von Rechtsverletzungen zu ermöglichen.“
Abschreckende Wirkung
Der Auskunftsanspruch gegen Internetprovider soll so weit wie möglich gefasst werden, fordert die bundesdeutsche Unterhaltungsindustrie in einer Stellungnahme zum Referentenentwurf. Insbesondere dürfe keinesfalls darauf abgestellt werden, ob der Rechteverletzer kommerziell oder nur für rein private Zwecke handele. Das sei völlig egal. Diebstahl sei nun eben Diebstahl – egal von wem und in welchem Umfang er begangen werde. Der direkte Auskunftsanspruch der Unterhaltungsindustriellen ist deshalb ganz besonders wichtig, weil die Anwälte der Unterhaltungsindustrie dadurch die Identität beispielsweise eines Tauschbörsennutzers erfragen und ihn anschließend zivilrechtlich zur Verantwortung ziehen können. Außerdem setzen die Rechteinhaber auf die abschreckende Wirkung eines möglichst weit gefassten Auskunftsanspruchs.
Auskunft auch in Bagatellfällen
Im Visier der Unterhaltungsindustrie stehen nicht mehr nur die Anbieter urheberrechtlich geschützter Werke, sondern mittlerweile jeder, der geschützte Dateien aus dem Netz herunterlädt. Jeder einzelne Download soll straf- und zivilrechtlich geahndet werden können. Geplant ist derzeit ein Auskunftsanspruch auf Fälle, in denen erkennbar werde, dass in großem Umfang und zu kommerziellen Zwecken gehandelt werde. Das lasse sich laut Filmindustrie allerdings nur selten nachweisen. Da bei dynamischen IP-Adressen oftmals nur ein einziger Rechtsverstoß pro IP-Adresse nachweisbar sei, könne man keinem Rechteverletzer gewerbsmäßiges Handeln nachweisen, argumentieren die Filmindustriellen. Die Eingrenzung des Auskunftsanspruchs „auf ein gewerbliches Ausmaß“ käme der „faktische(n) Einführung einer zivilrechtlichen Bagatellklausel“ gleich, erklären die Vertreter der Unterhaltungsindustrie.
Songs von iTunes dürfen nur auf iPods dudeln
Der nunmehr vom Bundeskabinett abgesegnete Zweite Korb der Urheberrechtsnovelle kommt nicht nur im Hinblick auf die Streichung der Bagatellklausel, sondern auch sonst in wesentlichen Punkten den Forderungen der bundesdeutschen Unterhaltungsindustrie entgegen. So brüstet sich die Bundesregierung zwar damit, die Privatkopie grundsätzlich erhalten zu haben. Doch der an sich lobenswerte Grundsatz bringt dem Verbraucher kaum Vorteile, obwohl er eine Musikdatei rechtmäßig erworben und mit seinem Geld bezahlt hat, sondern liefert ihn dem taktischen Kalkül der Unterhaltungsindustrie aus. Sie schreibt ihm künftig vor, in welchem Umfang er die gekaufte Datei nutzen darf. Ist eine Musikdatei, die er gekauft hat, kopiergeschützt, darf der Käufer davon keine Privatkopie herstellen. Die Entscheidung darüber, ob Privatkopien zulässig sind, obliegt somit den Rechteinhabern und nicht denjenigen, die eine CD oder DVD für teures Geld rechtmäßig erstanden haben. Will er die Titel einer kopiergeschützten Musik-CD auch auf seinem MP3-Player abspielen, muss er sich kopiergeschützte Titel noch einmal kaufen. Den Kopierschutz knacken, darf er nicht. Ebenso ist es verboten, DRM-Systeme, wie sie etwa von Apple oder anderen Betreibern von Online-Musikläden angeboten werden, „aufzubrechen“. Songs von iTunes wird man also auch in Zukunft nur auf Apples iPods dudeln dürfen.
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