Ryan Adams ist ein Genie. Meint jedenfalls der kulturSPIEGEL in seiner Februarausgabe 2002. Die Frankfurter Rundschau prophezeit dem 27-jährigen New Yorker eine ganz große Zukunft. Und für den deutschen Rolling Stone ist der junge Mann aus New York schlicht das Talent des Jahres. Wo man auch hinschaut, fast überall die gleichen Lobeshymnen. Was muss man tun, um everybody's darling zu werden? Welche Trends muss man kreieren, welches musikalische Süppchen kochen, damit man so gelobt wird? Ist die Musik von Ryan Adams wirklich die rockmusikalische Götterdämmerung - zehn Jahre nach Nirvanas legendärem "Nevermind"?
Kümmern wir uns erst mal um die Fakten! Ein "One Hit Wonder" ist Ryan Adams zweifelsohne nicht. "Gold" ist nach dem hoch gelobten "Heartbreaker" schon sein zweiter Solo-Streich. Und dass ihm die Ideen nicht ausgegangen sind, beweisen sechzehn neue Tracks mit einer Gesamtspielzeit von gut und gerne siebzig Minuten. Zur Erstauflage dieser CD gab es sogar noch eine Bonus-CD mit fünf zusätzlichen Songs. Musikalisch präsentiert Mr. Adams eine rasante Tour de force durch mindestens dreißig Jahre Rockmusik. Er hat The Who gehört ("Gonna make you love me") und Stephen Stills ("New York New York"), dazu Van Morrison ("Answering Bell") und Neil Young ("Harder now that it's over"), viel Soul von Otis Redding ("Touch, feel & loose") und noch mehr Bob Dylan ("Nobody girl"). Und kein geringer als Keith Richards von den Rolling Stones wird sich fragen, warum gerade Mr. Adams aus New York die Idee zu "Tina Toledo's street walking blues" gehabt hat und nicht er selbst. Hätte dieser Song doch ganz vorzüglich auf "Exile on Main Street" gepasst. Zum Glück ist Ryan Adams keiner dieser unsäglichen Retro-Rocker, die vor nostalgischer Rührung feuchte Augen und noch feuchtere Hände bekommen, wenn sie die Musik der sechziger und siebziger Jahre hören. Nein, Ryan Adams blickt zurück nach vorn. Er versteht es tatsächlich wie gegenwärtig kein Zweiter, aus seinen musikalischen Inspirationsquellen etwas Eigenes herauszudestillieren. Bittersüße Balladen wie "Wild flowers" und "Goodnight, Hollywood Blvd." bringt er zum Leuchten, Up-Tempo-Stücke wie "Somehow, someday" swingen unnachahmlich lässig, und auf "Enemy Fire" lässt er's gewaltig rocken. Überhaupt ist es die gelungene Mischung aus traditionellen Rock-, Country- und Folkelementen, aus Zitaten und Plagiaten, aus Neuem und Altbekanntem, die "Gold" so wohltuend vom rockmusikalischen Mainstream abhebt. Und wie es sich für einen Singer-/Songwriter der neuen alten Schule gehört, erzählt Mr. Adams große und kleine Geschichten - anrührend, mitfühlend, zärtlich. Fazit: "Gold" ist ohne Frage ein überdurchschnittlich gutes, ein hörenswertes Album. Aber in die Zukunft weist es nicht. Alles, was Ryan Adams macht, ist, die Vergangenheit neu zu erfinden - und das mit einer Energie und Spielfreude, die gegenwärtig ihresgleichen sucht.
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