"REM entdecken die Leichtigkeit des Seins", titelt der Rolling Stone in seiner Mai-Ausgabe und meint, "Reveal", das zwölfte REM-Album seit Bandgründung im Jahre 1980, sei eine musikalische "Wundertüte für Erwachsene", ein wundervolles Album, bei dem alle zwölf Lieder zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen, weil sie alle die gleiche Stimmung einfangen und "doch nicht eintönig klingen". Der Spiegel, bekanntlich nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, internationale Größen der Rock- und Popbranche genüsslich zu entzaubern, setzt dieser Lobeshymne noch eins drauf: "Reveal" sei "ein heiter-gelassenes Meisterwerk", eine "Sammlung schöner Balladen", eine "meisterhafte, dabei kunstvoll versponnene Demonstration erneuerter Schaffenskraft".
In der Rolle des Spielverderbers diesmal die Frankfurter Rundschau: Man bekomme auf "Reveal" zwar zwölf "kunstvoll konstruierte Lieder" auf die Ohren, letztlich sei die neue REM-CD jedoch nichts anderes als "ein weichgespülter und um einige Drehzahlen verlangsamter Remix altbekannter REM-Ideen". Das alles ende oft in Langeweile, "aber ab und zu auch in einem unvergesslich schönen Rocksong". Glaubt man dem Rockkritiker aus Frankfurt, könnte man "Reveal" gleich nach dem ersten Stück ad acta legen. Denn schon die Uptempo-Nummer "The lifting", hat alles, was ein Rocksong braucht: Das Flugzeug hebt ab. "The weather's fine, the sky is blue", geben Michael Stipe, Mike Mills und Peter Buck die Richtung vor und fordern ihre Hörer auf, die Augen zu schließen, den Alltag auszublenden und einfach mitzufliegen, Richtung Süden, in wärmere Gefilde. Der Gitarrenbreitwandsound früherer Jahre ist einem geschickt gewebten Teppich aus elektronischen Klängen und Streichern gewichen, Bass, Klavier und Schlagzeug drängen vorwärts und Michael Stipes Stimme klingt befreit und leicht wie selten - ein Meisterwerk: Wir schließen die Augen und heben ab... Das sanft schwingende "I've been high" gleitet vorbei, wir lauschen dem markanten Gitarrenriff von "All the way to Reno" und der bruchstückhaften Geschichte von Aufbruch und Veränderung, die uns REM-Kopf Michael Stipe in "She just wants to be" erzählen will. Vier Songs haben wir bisher gehört - und ginge es nach jenem Rockkritiker der Frankfurter Rundschau hätten REM ihr Soll bereits übererfüllt: Vier große Songs, kein Lückenfüller. Doch der Flug geht weiter, und die musikalischen Ideen purzeln verschwenderisch aus einem übervollen Füllhorn. "Disappear" schwingt im Dreivierteltakt, "Beat a drum" ist einer dieser wundervoll melancholischen Songs, die in ihrer Stimmung zwischen Hoffnung und Resignation schwanken. "Imitation of live" ist ein verspielter Ohrwurm jener Sorte, bei der man das Autoradio lauter stellt, und das hymnische "I'll take the rain" ist eine grandiose Ballade über Freiheit, Hoffnung, Selbstbehauptung - die ewigen Themen des Rock'n'Roll eben, bei REM in Text und Musik ohne billige Klischees und ohne oberflächliches Pathos. Nach einer Stunde ist der Flug vorbei. Wir landen sanft. Irgendwo im Süden. Wo man in den Straßen Rumba tanzt. Wo man Beachball spielt am Strand. Und wo uns Michael Stipe versichert: "This life is sweet - and you'll do fine..." Alles wird gut...
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