 Was bitte ist ein Ohrwurm? Was macht Melodie plus Text zu einem Song, der sich erbarmungslos ins Hirn fräst und sich dort festsetzt, bis ein neuer Ohrwurm ihn von dort vertreibt? Vermutlich gibt es kein Patentrezept. Es käme einer Lizenz zum Gelddrucken gleich, und die Werbebranche hätte es mit Sicherheit längst gefunden. Ist sie doch immer auf der Suche nach dem griffigen Slogan, der eingängigen Melodie, der glatten Botschaft, kurz: dem perfekten Werbespot, um die Produkte ihrer Kunden unters kauflustige Volk zu bringen.
Auch die vier jungen Musiker von Lifehouse besitzen natürlich kein Patentrezept zur Ohrwurmproduktion. Trotzdem liefern die vier Herren aus Los Angeles auf ihrer CD "Stanley Climbfall" gleich mehrere Songohrwürmer ab -
 vorausgesetzt natürlich, man mag den glatt gebügelten und perfekt durchproduzierten Alternative Rock von Lifehouse, und vorausgesetzt, man mag das stadiontaugliche Pathos, das Sänger, Songschreiber und Gitarrist Jason Wade mit seinem charismatischen Gesang besonders auf den ersten neun Songs manchmal ein wenig penetrant verbreitet.
"Spin" heißt das erste Stück, das gleich alles hat, was man an Lifehouse lieben oder hassen kann: ein vorwärts treibendes Schlagzeug, elegante Gitarrencrescendi, Jason Wades Gesang zwischen Depression und Hoffnung, kalkulierte Tempowechsel und eine nette Refrainzeile: "...you and I wouldn't change a thing..." - ein Song mit Hitpotenzial, ausgekoppelt demzufolge auch als Single.
Das etwas lendenlahme "Wash", der zweite Titel der CD, kann zwar nicht halten, was der Opener verspricht. Doch dann kommt "Sky is falling" - der Ohrwurm schlechthin. "I'm alive but tell me am I free / I've got eyes but tell me can I see / The sky is falling and no one knows" - der Refrain sägt sich ins Ohr und nistet sich dort ein. Ob beim Autofahren oder Bügeln, man fühlt sich wohl, und man singt mit: "I'm alive but tell me am I free..." - ein Song mit kleinen Widerhaken, die verhindern, dass er zum einen Ohr reingeht und zum anderen gleich wieder raus. Als Zugabe gibt's "Sky is falling" übrigens auch in einer hörenswerten Akustikfassung ganz am Ende der CD.
"Anchor" kommt ungleich schwerfälliger daher und bietet Breitwand-Gitarren pur, während "Am I ever gonna find out" zwar leicht und locker beginnt, dann jedoch in eine belanglose Rockhymne abdriftet.
Das auch Lifehouse anders können, beweisen sie mit dem Titelsong "Stanley Climbfall". Es gelingt ihnen eine leise, nicht überproduzierte Ballade, die stimmungsvoll von Bass, Schlagzeug, Gitarren und natürlich Jason Wades charismatischer Stimme getragen wird. Der Song ist wie alle anderen Titel dieser CD intelligent aufgebaut und elegant durchproduziert. Er beginnt ruhig und zurückhaltend und steigert sich zu einem kraftvollen Refrain - Wunderkerzenschwenker aller Länder vereinigt euch!
Mit "Out of breath" und "Just another name" verlassen wir die Abteilung Rockballaden und hören Lifehouse zu beim leichten Rocken - poppige Songs zum Füßewippen.
In melodischen Songs wie "My precious", "Empty space" und "The beginning" nimmt sich Jason Wade gesanglich ein wenig zurück und verleiht den Songs einen Hauch von Eleganz und Leichtigkeit, wie man sie gegenwärtig ansonsten nur bei einer Band wie Coldplay hört.
Zugaben gefällig? Neben der Akustikversion von "Sky is falling" gibt's einen weiteren Bonustitel: "How long" - einer der schönsten Songs dieses Albums, der sich aus unerfindlichen Gründen auf Platz 13 der Titelliste verstecken muss.
Befragt nach seinen Vorbildern, greift Lifehouse-Mastermind Jason Wade recht hoch und nennt Pearl Jam, Nirvana und die Beatles. Doch neu und aufregend, wie die Musik von Pearl Jam, Nirvana und den Beatles zu ihren Zeiten war, ist "Stanley Climbfall" - Ohrwürmer inklusive - leider nicht. Alles klingt ein wenig bieder - Bands wie Matchbox 20, Live, Nickelback und Creed lassen freundlich grüßen.
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