Seit Wochen geistert eine Meldung durchs Netz, die sowohl durch ihren Inhalt als auch durch ihre ungewöhnliche Verpackung, eine eigenwillige Rechtschreibung nämlich, von sich reden macht:
"Luat enier sidtue an eienr elgnhcsien uvrsnäiett, ist es eagl in wcheler rhnfgeeloie die bstuchbaen in eniem wrot snid. das eniizg whictgie ist, dsas der etrse und der lztete bstuchbae am rtigeichn paltz snid. der rset knan tatol deiuranchnedr sien und man knan es ienrmomch onhe porbelm lseen. das legit daarn, dsas wir nhcit jeedn bstuchbaen aeilln lseen, srednon das wrot als gzanes."
Für diejenigen, die wider Erwarten Probleme beim Lesen dieser Meldung haben, hier die orthografisch richtige Version:
"Laut einer Studie an einer englischen Universität ist es egal, in welcher Reihenfolge die Buchstaben in einem Wort sind. Das einzig Wichtige ist, dass der erste und der letzte Buchstabe am richtigen Platz sind. Der Rest kann total durcheinander sein, und man kann es immer noch ohne Probleme lesen. Das liegt daran, dass wir nicht jeden Buchstaben allein lesen, sondern das Wort als Ganzes."
Quelle dieser Meldung aufgedeckt
Diese Meldung gibt es wahlweise auf Deutsch oder Englisch. Sie wurde mittlerweile auch in weitere Sprachen übersetzt. Ihr Inhalt ist stets derselbe, nur die Quelle, besagte Studie nämlich, wird unterschiedlichen Universitäten zugeschustert. Einmal darf sich die Universität von Cambridge mit dieser Studie schmücken, ein anderes Mal stammt die Studie aus Edinburgh. Auch andere englische Universitäten sind im Gespräch. Der FAZ sowie der Frankfurter Rundschau blieb es - soweit ersichtlich - vorbehalten, die wahre Quelle ausfindig zu machen. Der Text obiger Meldung geht auf eine linguistische Studie zurück, die der englische Sprachwissenschaftler Graham Rawlinson bereits 1976 an der Universität von Nottingham als Dissertation veröffentlichte. Ihr Titel "The significance of letter position in word recognition" ("Die Bedeutung der Buchstabenposition in der Worterkennung").
Warum Buchstabendreher keine Rolle spielen
Je besser jemand lesen kann, desto weniger bemerkt er die Verfremdungen in einem Text und desto geringer sind seine Probleme, wenn die Buchstaben in Worten völlig durcheinander gewirbelt wurden. Voraussetzung ist, dass die Wortlänge nicht verändert wird und die Wortsilhouette, der erste und letzte Buchstabe eines Wortes, erkennbar bleibt. Selbstverständlich spielt auch der Kontext eine Rolle. So erkennen Leser das Wort Katze schneller, wenn sie kurz davor das Wort Hund gelesen haben. Außerdem ist Sprache, wie es die Linguisten ausdrücken, mehrfach redundant: Präpositionen, Artikel, Deklination, Konjugation und die Wortstellung im Satz sorgen dafür, dass der Leser einen Text auch dann entschlüsseln kann, wenn er nur aus einem Buchstabensalat nach obigem Schema besteht. Das gilt jedoch nicht immer und nicht für jeden Leser gleich. Der eigene Erfahrungs- und Wissenshorizont spielt bei der Entschlüsselung verwirbelter Texte eine ganz entscheidende Rolle. Einen als Buchstabensalat angerichteten philosophischen Text wird nur derjenige problemlos rückübersetzen können, dem solche Texte auch sonst nicht völlig fremd sind. Was sich hinter "Nondrayhgartmeucrabonit" verbirgt, Natriumhydrogencarbonat (oder Backpulver nämlich) dürfte sich dem Chemiker noch relativ problemlos erschließen, während Otto-Durchschnittsleser womöglich lange daran tüfteln müsste, länger jedenfalls als am Buchstabendreher "Bcapeukvlr" aus seinem eigenen alltäglichen Wortschatz.
Woher kommt das große Interesse am Buchstabensalat?
So weit, so linguistisch! Trotzdem bleiben Fragen. Die erste Frage lautet: Wieso geistert eine solche Meldung derzeit mit hoher Umlaufgeschwindigkeit durchs Netz, beschäftigt Weblogs ebenso wie Foren und führt die Hitliste der Meldungen an, die derzeit auf keiner mehr oder weniger angesagten Homepage fehlen dürfen?
"Es ist der richtige Moment dafür", meint Graham Rawlinson gegenüber der Frankfurter Rundschau. "Die Menschen interessieren sich dafür, wie das Gehirn arbeitet, für künstliche Intelligenz und Verschlüsselungstechniken, und es gibt Computerprogramme, mit denen sie das selbst ausprobieren können."
Ein rein wissenschaftliches Interesse am Inhalt der Meldung also? Wohl kaum! Denn käme diese Meldung nicht in ihrer verblüffenden Aufmachung als verwirbelter Buchstabensalat daher, hätte sich die Webgemeinde wohl kaum derartig massiv auf diese Meldung gestürzt. Sie wäre allenfalls Wasser auf die Mühlen der schulgeschädigten Verächter korrekter Rechtschreibung gewesen, die ihre mangelhaften Diktatnoten mit Rawlinsons Erkenntnissen nachträglich hätten schönreden können.
Es kommt auf die Verpackung an
Es ist also wie im richtigen Leben: Die Aufmachung macht's! Und man braucht nicht lange über den Inhalt dieser Meldung nachzugrübeln. Ihr Sinn erschließt sich unmittelbar beim Lesen: Man liest, man stutzt, liest weiter, versteht und glaubt dem Inhalt dieser Meldung, ohne weiter nachzufragen. Wen interessiert dann noch, woher die Meldung stammt? Das aber ist das eigentlich Interessante an der ganzen Angelegenheit. Insider vermuten, dass diese Nachricht bewusst mit der Absicht in die Welt, sprich: ins Internet gesetzt wurde um herauszufinden, wie schnell sich Nachrichten im Netz verbreiten.
Das Experiment
Der amerikanische Wissenschaftsjournalist, Physiker und eifrige Blogger David Harris hat in seinem Weblog eben dieses Experiment zugegeben. Er habe die Nachricht zwar nicht selbst verfasst, sondern per Email erhalten. Er habe den Anfang des englischen Nachrichtentextes dann jedoch mehrfach ein wenig geändert, in seinem Weblog gepostet und via Google mehrfach überprüft und ausgezählt, wie viele Webseiten die jeweilige Textvariante übernommen hatten. Das Ergebnis ist erstaunlich: Nach gut einer Woche Verbreitungszeit lieferte Google für die veränderte Fassung 1420 Treffer. Gleichzeitig steigerte sich der Verbreitungsgrad der Originalfassung auf 3450 Google-Ergebnistreffer. Zwei Wochen später liefert Google für die Originalversion ungefähr 6520 Treffer, während bei der geänderten Fassung mit 1590 Treffern eine gewisse Webseitensättigung zu beobachten ist.
Das Internet produziert seine eigenen "Wahrheiten"
Die Frage, wer diese Meldung mit welcher Absicht als Erster ins Web gesetzt hat, bleibt ungeklärt. Ihre rasante Verbreitung und größtenteils kritiklose Hinnahme wirft allerdings ein Schlaglicht auf die Mechanismen, mit denen im WWW Nachrichtenmeldungen wie in einem gigantischen Schneeballsystem verbreitet werden. Das Netz ist eine rasante Nachrichtenschleuder, eine gewaltige Produktions- und Reproduktionsmaschinerie, die ihre eigenen "Wahrheiten" verbreitet. Es wird besonders das verwurstet, was auffällig verpackt und in sich wenigstens halbwegs plausibel daherkommt. Der User erfreut sich am Verpackungsgag, nimmt den Inhalt meist kritiklos hin, fragt selten nach der Quelle und verbreitet alles munter weiter. Hoax-Bastler, Illuminaten und sonstige Verschwörungstheoretiker haben gute Karten…
siehe auch:
Katja Schmid: Unlguailbch! In: telepolis, 24.9.2003
Hier kann man eigene Texte "scramblen".
Einen interessanten "Wortmixer" mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden findet man hier.